Wie die Ampel das "die da oben"-Gefühl verstärkt
Ausgabe 17 - Weil in Gesetzgebungsverfahren die Beteiligungsprozesse nicht sauber laufen, wächst in Ländern & Verbänden der Unmut
Moin!
In diesem Newsletter wird es um innenpolitisches Kleinklein gehen - was sich ehrlich gesagt angesichts der Weltlage etwas merkwürdig bis falsch anfühlt. Gäbe es nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober und der israelischen Militärreaktion nicht viel wichtigeres zu besprechen? Wellen des Hasses, die über unseren Köpfen zusammenschlagen. Ratlosigkeit und Rastlosigkeit angesichts dieser Gewalt, der Entmenschlichung, der Entsolidarisierung. Antisemitismus und Rassismus brechen sich Bahn und als empathischer Mensch ist das alles nur schwer zu ertragen.
Nur: In den letzten Wochen haben schon zu viele Personen mit gefährlichem Halbwissen ihre Emotionen ins Internet gekippt. Statt meinen eigenen Senf dazuzugeben, will ich daher lieber Aufmerksamkeit auf die Gedanken von Menschen lenken, die Substanzielles zu sagen haben, zum Beispiel diesen ausgezeichneten Essay von Nils Markwardt vom 24. Oktober: [Link]
Darüber hinaus möchte ich Ihnen gerne ein Format ans Herz legen, das wir im Deutschlandfunk gerade testen. Wo wir Räume zur Diskussion öffnen wollen. Diskussionen, in denen es vor allem darum gehen soll, Positionen zu verstehen, zugewandt miteinander umzugehen und die vielen Gleichzeitigkeiten auszuhalten. Jeden Samstag im Feed von „Der Tag“, zumindest in den nächsten Wochen. Die erste Folge: [Link]
Nun - ein harter Schnitt. Das versprochene Kleinklein.
Ja, ich weiß, man kann seine Inhalte besser verkaufen.
Schön also, wenn Sie dennoch dabei sind :D
Das Paul-Löbe-Haus, Ort der Ausschusssäle im Bundestag
„Die da oben machen doch was sie wollen“ – das ist mittlerweile eine verbreitete Sicht auf die Politik in Berlin. Selbst Mitglieder des Bundestages pflegen dieses Narrativ an Stammtischen und in Festzelten. Politiker:innen in Berlin hätten keine Ahnung von den Dingen, würden Sachen entscheiden, die mit der Praxis gar nichts zu tun haben.
Ein gefährliches Narrativ, was das Vertrauen in politische Prozesse aushöhlt und damit unsere Demokratie gefährdet. Die Bundesregierung müsste entsprechend ein großes Interesse daran haben, dass eben dieser Eindruck entkräftet wird.
Sie tut aber oft das Gegenteil.
Jedenfalls bei zahlreichen Gesetzesvorhaben, insbesondere denen, die intern umstritten sind, wo Kompromisse nur schwer zu treffen sind. So kürzlich etwa wenn es um das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ ging, das Abschiebungen erleichtern soll. Regierungsintern war eine Einigung hier nicht einfach, sie wurde unmittelbar nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern verkündet, ein sogenannter Referentenentwurf in die Anhörung bei Ländern und Verbänden gegeben. In diesem Schritt werden relevante Akteure, die mit der Materie betraut sind, um ihre Einschätzungen gebeten. Wie findet ihr das Gesetz, macht das so Sinn, ist das schlüssig, was würdet ihr besser machen. Es ist ein wichtiger Teilschritt eines transparenten Gesetzgebungsverfahrens.
In diesem Fall haben zahlreiche Verbände jedoch eine Stellungnahme abgelehnt, wie Pro Asyl am 16. Oktober transparent machte.
Die Bundesregierung gibt den Verbänden und Ländern stets Fristen innerhalb derer ihre Rückmeldungen eingehen müssen. Und diese Fristen werden von der Ampel seit Beginn ihrer Regierungszeit teilweise grotesk kurz festgesetzt, häufig über Wochenenden oder Feiertage.
Wo jetzt das Problem ist, denken Sie vielleicht? Sollen sich mal alle nicht so anstellen!
Wir reden hier über hochkomplexe Gesetzestexte von oft über 100 Seiten Länge und in einem durchaus schwierigen Formatierungszustand. Zur Ansicht der folgende Ausschnitt aus dem 72 Seiten langen Rückführungsverbesserungsgesetz, Stadium Referentenentwurf:
In voller Schönheit finden Sie das Werk hier: [Link]
Um also zu verstehen, was hier überhaupt geplant ist, lesen Sie nicht nur den Änderungsentwurf, Sie lesen auch das ursprüngliche Gesetz, um zu erfassen, was die konkrete Änderung bedeutet. Gesetzestexte sind komplexer Kram, da kann ein einzelnes Wort entscheidend sein und wenn Ihnen das nicht auffällt, hat das konkrete Auswirkungen auf Land und Leute. Die Stellungnahmen sind außerdem wichtig für die öffentliche Diskussion eines Gesetzesvorhabens. In einer Demokratie ist es wichtig, öffentlich darüber zu reden, welche Auswirkungen politische Entscheidungen haben werden. Welche Akteure davon in welcher Form betroffen sind.
Die Analyse eines komplexen Gesetzesänderungsvorhabens ist nicht in 5 Tagen zu machen.
Genau das verlangt die Ampelkoalition aber sehr regelmäßig. Der prominenteste Fall ist wohl das Heizungsgesetz, wo Länder und Verbände Anfang des Jahres auch innerhalb weniger Tage sagen sollten, was sie davon halten. Der Referentenentwurf hatte 155 Seiten und zwar so komplex, dass Mitglieder der Koalition ihn bis heute nicht begriffen haben.
Zum Glück gibt es weitere Stufen, in denen Beteiligung von außen gefragt und möglich ist. Dem Referentenentwurf aus dem jeweiligen Ministerium und dem darauf folgenden Beteiligungsprozess folgt als nächstes der Kabinettsbeschluss, hier legt sich die Bundesregierung auf eine Fassung des Gesetzestextes fest.
Jetzt beginnt die Detailarbeit.
Im sogenannten parlamentarischen Verfahren wird das Gesetz überarbeitet. Mit Lesungen im Bundestag und Arbeitssitzungen in den Ausschüssen. Daneben gibt es noch informellere Formate, die die Regierungskoalitionen für sich festlegen, in denen die dafür zuständigen Parlamentarier:innen Streitpunkte gemeinsam diskutieren und Kompromisse finden. In diesem gesamten Prozess ist nochmal externe Expertise gefragt.
In den jeweils zuständigen Ausschüssen werden Anhörungen durchgeführt, zu denen Fachleute eingeladen werden. In dieser Woche wird etwa das Klimaschutzgesetz im Ausschuss für Klimaschutz und Energie beraten. Folgende Akteure stehen auf der Sachverständigenliste:
Hier die Anhörung auf der Seite des Bundestages, inklusive Sachverständigenliste, Gesetzentwurf, hier werden auch die Stellungnahmen veröffentlicht, um für Transparenz zu sorgen: [Link]
Die Zahl der hier geladenen Akteure ist deutlich kleiner als bei der Länder- und Verbändeanhörung. Zudem werden sie von den jeweiligen Fraktionen eingeladen. Wozu es führt, wenn eine Partei, die den Klimawandel leugnet, Experten zu Klimaschutzgesetzen einlädt, können Sie sich sicher ausmalen.
Diese Anhörungen finden öffentlich statt, das heißt, es wird zusätzliche Aufmerksamkeit auf die Positionen gelenkt. Medien können hier bei Bedarf zum Thema Positionen nachlesen und auf kundige Akteure zugehen. Es wird Aufmerksamkeit für Belange geschaffen. Ja, es ist auch eine Form von Lobbyarbeit und etwa im Bereich Klimaschutz sind sicherlich nicht alle der dort gesagten Dinge im Einklang mit Wissenschaft und Pariser Klimaschutzabkommen. Aber diese Veranstaltungen sind eben auch Orte, an denen die unterschiedlichen Interessen innerhalb einer Demokratie ihren Ausdruck finden – und das ist wichtig.
Und insbesondere die Parlamentarier:innen, die an den Gesetzen arbeiten und nun wahrlich nicht immer die Expert:innen für die Themen sind, brauchen entsprechenden Input, damit am Ende ein gutes Gesetz rauskommt.
Das Paul-Löbe-Haus, also der Ort, wo die Sitzungssäle für die Ausschüsse unterbracht sind, wird nicht umsonst als “Maschinenraum der Demokratie” bezeichnet. Hier wird gearbeitet, damit es läuft, aber der Motor braucht eben auch Informationen als Schmiermittel.
Im Maschinenraum
Doch auch hier verhindert die Ampelkoalition häufig eine angemessene Beteiligung. Ein jüngeres Beispiel: Das Stiftungsfinanzierungsgesetz.
Es soll künftig regeln, unter welchen Voraussetzungen politische Stiftungen mit Steuergeld finanziert werden. Und naja, es soll auch regeln, dass die AfD-nahe Stiftung kein Geld bekommt, auch wenn die politischen Architekt:innen dem explizit widersprechen.
Der Entwurf des Gesetzes wurde am 11.10. präsentiert, die öffentliche Anhörung zum Gesetz fand am 16.10. statt. Bei der Präsentation betonten die Parlamentarier, die den Kompromiss erarbeitet hatte, wie unglaublich wichtig ihnen die Expertise der Fachleute sei, bei diesem komplexen und schwierigen Thema, wie wichtig deshalb die Anhörung werde.
So wichtig, dass man ihnen nicht mal eine Woche zur Vorbereitung gab.
In diesem Fall macht auch die Union das Spiel mit – es handelt sich nämlich um ein fraktionsübergreifend in den Bundestagsfraktionen erarbeitetes Vorhaben. Ja, die Union, aus deren Reihen beim Heizungsgesetz das Verfahren beklagt worden war. Erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht sah die Beratungsmöglichkeiten der Abgeordneten möglicherweise eingeschränkt und untersagte die Abstimmung vor der Sommerpause.
Da hatte es übrigens schon zwei Anhörungen von Sachverständigen gegeben – ungewöhnlicherweise. Aber da der Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren so stark verändert worden war, war sie nötig geworden. Nur: Auch hier hatten die Fachleute kaum Vorbereitungszeit. Der Gesetzentwurf wurde am Freitag fertig, die Anhörung war direkt in der darauffolgenden Woche.
Politik mit heißer Nadel gestrickt.
Und das eigentlich ohne Not. Aber wenn eine Einigung in dieser Ampel erst einmal gefunden ist, dann will sie niemand lange liegen lassen – nicht, dass ein Hinterbänkler aus den Fraktionen sie noch platzen lässt…
Und klar, gerade nach dem Beginn des russischen Angriffskrieg in der Ukraine musste es bei einigen Projekten auch wirklich schnell gehen. Aber diesen Notfallmodus kann man eben nicht dauerhaft fahren.
Denn dieses Vorgehen schadet der Qualität der inhaltlichen Auseinandersetzung. Und es führt zu erheblichen Missstimmungen bei den unterschiedlichen Akteuren. Aus den Ländern ist immer wieder zu hören, dass man den Eindruck hat, Berlin schere sich einen feuchten Kehricht um die Länderperspektiven – auch weil mit Blick auf den Bundesrat immer wieder Fristverzichte beantragt werden und vieles im Hauruck-Verfahren gemacht wird. Nun ist das Verhältnis Bund/Länder immer n bisschen schwierig – diese Art des Umgangs verschärft das.
Auch viele Verbände haben inzwischen die Nase voll. Dieses Vorgehen hinterlässt bei ihnen den Eindruck, dass ihre Expertise nicht gefragt ist, ihre Einschätzungen aus der Praxis, beispielsweise etwa dem Handwerk, für die Gesetzgebung keine Rolle spielen. Dabei sind sie es, die die Neuregelungen umsetzen müssen. Stichwort Heizungsgesetz.
Es läuft nicht bei jedem Gesetz so. Aber gerade bei den strittigen – und bei zu vielen. Das ist kein gutes Handwerk. Es stärkt das „die da oben“-Narrativ und entfremdet Politik und Bürger:innen. Für die zweite Hälfte der Legislaturperiode wäre ein bisschen solideres Arbeiten aus meiner Sicht wünschenswert.
Danke für Ihr Interesse & bis zum nächsten Mal.
Frau Büüsker
Vielen Dank, auch für die Einleitung und den Link zum Essay von Nils Markwardt!
Mal wieder sehr schön zusammengefasst - Danke!
Das anfangs geschilderte Gesetzesänderungsgekrööse dürfte es eigentlich nicht mehr geben. Für Gesetzesvorschläge "aus der Mitte des Bundestages" gilt, dass es eine Synopse geben "soll". Das BMJ hat sich jetzt für sein Ressort festgelegt, nur noch mit Synopsen bei Änderungsanträgen zu arbeiten. Diese Selbstverpflichtung müsste dringend in die Geschäftsordnung der Bundesregierung aufgenommen werden, denn nur so sind Änderungsanträge für die Bürgerinnen und Bürger halbwegs les- und verstehbar.
Und für die Anhörung Sachverständiger müsste es eine zwingende Frist von mindestens drei Wochen zwischen der Aufforderung zur Stellungnahme und der Anhörung geben. Man darf ja nicht vergessen, dass das unbezahlte Expertentätigkeit ist, für die es (m.W.) allenfalls Reisekostenerstattung gibt. Wer also nicht auf der Gehaltsliste eines Lobbyverbands steht (in IT-Dingen ja gerne mal Mitglieder des Chaos Cumputer Club) erstellt die Stellungnahme in seiner Freizeit und aus purem Engagement für die Sache. Innerhalb sehr(!) weniger Tage eine fundierte Stellungnahme zu erarbeiten ist fast unmöglich.
Und vielleicht ist das ja auch erwünscht.
Diesem üblen Verdacht könnte die Regierung leicht entgegentreten, wenn sie ihre Praxis änderte.