Was macht die FDP denn da?
Ausgabe 25 - Über eine existenzgefährdete Partei, die einen Ausweg sucht
Moin!
Diese Newsletterausgabe geht erstmals an über 3000 Menschen raus – vielen Dank für Ihr Interesse! Zur Feier des Tages breche ich dieses Mal das gewohnte Format. Statt um Klima-, Energie-, Umwelt- oder Landwirtschaftspolitik geht es heute um meine andere Zuständigkeit: Die FDP.
Die gerade gefühlt mit allen Gliedmaßen strampelt, um aus der Ampel herauszukommen. So viel vorweg: Ich werde Ihnen nicht vorgaukeln, zu wissen ob wann und wie diese Koalition auseinanderfliegt. Aber wenn Sie informiert mitreden möchten und das Handeln der Partei zumindest ein bisschen besser verstehen möchten, dann sind Sie hier genau richtig. Und n kleines bisschen geht’s auch ums Klima, versprochen.
Schön, dass Sie dabei sind!
Schmierereien auf einem Wahlplakat der FDP in Rostock, 2024
Am Freitag hat Christian Lindner ein 18-seitiges Papier [Link] verschickt, in dem er durchdekliniert, wie er sich die wirtschaftspolitische Zukunft Deutschlands vorstellt. Für den internen Gebrauch, wie er versichert, es sei nur durch eine Indiskretion öffentlich geworden. Zuvor war tagelang insbesondere auch aus FDP-Kreisen ausführlich über ein baldiges Ende der Ampel-Koalition geraunt worden. Wenn unter diesen Vorzeichen ein Papier auftaucht, in dem der FDP-Parteichef und Finanzminister Teile des Koalitionsvertrags regelrecht aufkündigt, dann ist das natürlich überhaupt nicht für die öffentliche Diskussion gedacht. Zwinkizwonki.
Sollte die FDP die Koalition verlassen, dann soll es für sie ein Befreiungsschlag werden. Mit großem Brimborium. Bis hierhin und nicht weiter, lieber nicht regieren als schlecht regieren 2.0.
Presse und Öffentlichkeit spielen für die Partei deshalb gerade eine ganz entscheidende Rolle. Es geht darum, ein Bild zu kreieren, sich selbst als Märtyrer zu inszenieren. Das in diesen Tagen vorbereitete Bild: Diese Koalition muss sterben, damit der Mittelstand leben kann.
Nur: dass der Bruch als Befreiungsschlag gelingt, das ist längst nicht gesagt.
Die FDP hat sich in den vergangenen drei Jahren fundamental selbst in eine Sackgasse manövriert. Sie hat sich 2021 auf ein Bündnis eingelassen, das für die Partei ein Wagnis war, das großen Teilen der Partei inhaltlich wie auch in Sachen politischer Mentalität nicht lag. Der Führung der FDP gelang es in den Gesprächen auf dem Weg zum Koalitionsvertrag zumindest einige Vorbehalte abzulegen und sich Grünen und SPD anzunähern. Im Laufe der Zeit sind an einigen Stellen sogar Arbeitsfreundschaften entstanden. Steffen Saebisch, Anja Hajduk und Wolfgang Schmidt – der innere Zirkel hinter Lindner, Habeck und Scholz etwa. Auf parlamentarischer Ebene ist das Trio Fricke, Kindler, Rohde ganz entscheidend dafür verantwortlich, dass die Haushaltsverhandlungen immer irgendwie zum Abschluss kamen. Auch bei diesem Haushalt waren ihre Hoffnungen Mitte Oktober noch groß: [Link]
Doch gerade auf parlamentarischer Ebene sind die Gräben insbesondere zwischen FDP und Grünen stets groß geblieben. Die Koalitionäre haben sich auf Regierungsebene zwar zusammengerauft, aber verpasst, diese Annäherung auch auf den Ebenen darunter voranzubringen.
Es fehlte an Beziehungsarbeit auf Ebene der Abgeordneten.
Hier blieben Misstrauen und Abneigungen teils groß und haben sich im Laufe der gemeinsamen Arbeit miteinander teils noch verstärkt – so etwa durch die enormen Streitigkeiten um das Heizungsgesetz oder auch die Kindergrundsicherung. Immer wieder wurde mir in den vergangenen Jahren von allen Seiten von fiesen Indiskretionen und gebrochenen Versprechen berichtet – Schuld sind immer die anderen. Am Ende sind wahrscheinlich alle ein bisschen schuld.
Zusammengehalten wurde diese Koalition vor allem deshalb, weil das Trio an der Spitze sich bemühte zurechtzukommen, nicht schlecht übereinander zu reden. Scholz, Habeck und Lindner ist es lange gelungen in der Öffentlichkeit solide miteinander umzugehen. Das änderte sich erstmals rund um den Streit um das Heizungsgesetz, fundamental aber nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushalt bzw. dem Klima- und Transformationsfonds.
Dieses Urteil hat der Ampel ihre Geschäftsgrundlage entzogen. Und im Streit darüber, wie dieser Riss denn zu kitten sein soll, bröckelte auch der Bund zwischen Scholz, Lindner und Habeck sichtbar. Plötzlich fehlten Milliarden und die Partner kamen nicht auf ein gemeinsames Verständnis, wie dieses Problem denn gelöst werden konnte.
Die Hose hat ein Loch bekommen, das seitdem nicht geflickt werden konnte. Die Ampel konnte hier und da ein paar Dinge kaschieren, aber stets unter heftigen Streitigkeiten und nie im Sinne eines sinnvollen Gesamtkonzepts. Ein Resultat dieser Flickschusterei ist auch die aktuelle Verunsicherung in der Wirtschaft.
Wer versucht das Loch in der Hose nur mit einem langen Pullover zu überdecken, kriegt spätestens im Winter eben trotzdem n kalten Arsch.
Und wenn einem dazu noch ein Landesparlament nach dem anderen abhanden kommt, wird’s richtig frostig am Unterboden.
Am 10. Oktober sah Infratest Dimap die FDP im Falle einer Landtagswahl in Baden-Württemberg nur noch bei 5 Prozent. Bei der letzten Landtagswahl 2021 hatte die Partei noch 10,5 Prozent der Stimmen erreicht.
Für Nordrhein-Westfalen sehen die Umfragen noch verheerender aus: 3 Prozent – so die Umfrage von Infratest vom 13. Oktober.
Die FDP müsste damit in BaWü um den Wiedereinzug in den Landtag zittern, in NRW wäre sie klar raus. Das ist für eine Partei, bei der zwei von vier Bundesminister:innen aus NRW kommen, ebenso wie ein Großteil der Bundestagsfraktion nicht nur eine Schmach – die FDP ist existenzgefährdet.
FDP-Selbstvergewisserung im Januar 2024 beim Dreikönigstreffen in Stuttgart
Wie aber konnte es dazu kommen?
Niedersachsen, Berlin, Bayern, Thüringen – hier gingen die Landesverbände der FDP während der Ampel-Zeit in die außerparlamentarische Opposition. Und auch wenn die FDP damit durchaus Erfahrung hat sich wieder aufzurappeln und den Weg in die Parlamente zurückzufinden – es ist stets ein Schlag. APO bedeutet weniger Sichtbarkeit, weniger Geld für die Parteikasse, weniger parlamentarische Erfahrung, weniger Möglichkeit für politische Kräfte sich zu entwickeln und Kontakte zu knüpfen – gerade für die Nachwuchsarbeit ist das ein erheblicher Nachteil.
In den ostdeutschen Bundesländern hat die Partei nie eine große Rolle gespielt. Doch Ergebnisse unter 1 Prozent wie kürzlich in Brandenburg und Sachsen tun der Parteiseele weh. Nicht nur in den beteiligten Landesverbänden, sondern auch bundespolitisch. Und so wurde das Murren nach den Landtagswahlen im September erkennbar lauter. Selbst eher gemäßigte Kräfte der Fraktion, wie die Schleswig-Holsteiner Abgeordnete Gyde Jensen dachten öffentlich darüber nach unter welchen Voraussetzungen eine Regierungsbeteiligung noch etwas Gutes für die Partei sein kannte. Als der Thüringer Spitzenkandidat Thomas Kemmerich aber auf der Pressekonferenz nach der Landtagswahl deutlich machte, dass aus seiner Sicht die Ampel der FDP schade, erklärte Parteichef Christian Lindner, er teile diese Ansicht nicht.
Dass die Verbindung mit SPD und Grünen Schuld am der Misere der Partei ist, ist eine in FDP-Kreisen weit verbreitete Sicht. Wir sind wieder bei Mentalitätsfragen – das Fremdeln mit den Partnern war nie weg und wurde im Laufe der Zeit immer stärker. Und lauter.
Nicht nur hat die Partei es aus meiner Sicht dadurch verpasst, stärker zu kommunizieren, wenn mal gute Kompromisse gelungen sind. Gerade bei gesellschaftspolitischen Entwicklungen hat sich ein Teil der Partei auch stets geschämt bis geekelt. Für den eher konservativ bis reaktionären Teil der FDP ist etwa das Selbstbestimmungsgesetz eine Zumutung. So progressiv Teile der FDP sich in gesellschaftspolitischen Fragen fühlen mögen, ein Teil ihrer Partei wie auch ihrer Wählerschaft teilt diese Vorstellung von Freiheit null Komma gar nicht. Diese Zerrissenheit ist ein Problem für die Partei.
Ein gutes Beispiel dafür ist auch die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Dekliniert man das Thema streng nach Freiheitsaspekten durch, so ist es eigentlich ein No-Brainer, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht durch das Strafrecht geregelt werden sollten. Zu Beginn dieser Koalition konnte man dies auch von Freien Demokraten hören, ein entsprechender gesetzlicher Vorstoß der Ampel schien denkbar. Heute hüten sich eben diese Akteure davor, dies auszusprechen, es passe nicht in die aktuelle Zeit. Zu groß ist die Angst vor einem rechtsgerichteten Zeitgeist, zu groß die Angst, potenzielle Wähler zu verstoßen.
Denn so viele davon gibt es ja gar nicht mehr…
Die FDP hat über 70tausend Mitglieder, ist damit vergleichsweise klein. Sie ist vor allem eine Männerpartei, das gilt auch für die Wähler. Bei der Bundestagswahl 2021 hat die Partei insbesondere von jüngeren Wählern profitiert. Dafür wurde im Wahlkampf auch mobilisiert – mit einem Fokus auf Chancen, auf Digitalisierung, auf Klimaschutz, aber mit Mitteln des Marktes. Die Partei konnte 2021 auch davon profitieren, dass sie sich in den Hochzeiten der Pandemie für die Betonung von Freiheitsrechten stark gemacht hatte.
Stimmanteile gemäß Altersgruppen aufgearbeitet von Tagesschau.de [Link]
Der Wahlkampf der Partei trug klare progressive Züge. Ihr Kurs in der Regierungszeit wurde dann jedoch Schritt für Schritt reaktionärer. Die Idee etwa, dass die FDP Klimaschutz über den Markt, also steigende Preise zu regeln bereit ist, löste sich mit den Forderungen nach einem Tankrabatt in Luft auf. Digitalisierungsversprechen wurden nicht eingelöst. Diese Wählergruppen wird man nicht wieder mobilisieren können, das zeigt sich auch in den derzeitigen Umfragewerten.
Bei der FDP von Flügeln zu sprechen, ist nicht präzise, weil die Partei vor allem ein Haufen von Individualinteressen ist. Will man aber zum Verständnis ein wenig vereinfachen könnte man sagen: Die eher progressiven Kräfte übernahmen in der Ampel-Koalition politische Ämter mit Verantwortung – so etwa in der Fraktion. In der Folge wurden sie zu eher stillen Mittlern, während die eher konservativ bis reaktionären Kräfte sich durch einen direkten Draht etwa zur Bild-Zeitung zu diskursdominierenden Akteuren machten. Dadurch prägen sie die öffentliche Wahrnehmung der Partei.
Nach verlorenen Landtagswahlen war es oft Wolfang Kubicki, der als einziger überhaupt ein Statement abgab – abgesehen von den immer gleichen inhaltsleeren offiziellen Statements des Generalsekretärs. Die Lehre der Freien Demokraten aus jeder verlorenen Landtagswahl: Wir müssen uns einfach noch ein bisschen doller in der Regierung profilieren.
Kritisches Reflektieren darüber, ob eventuell diese Profilierung, sprich Blockade und Mauligkeit über alle Kompromisse, zum schlechten Standing der Partei beigetragen hat, konnte ich nicht erkennen. Auch ein öffentliches Hinterfragen der jeweiligen Wahlkampfstrategien nicht. In Berlin etwa machte die FDP einen Autowahlkampf – wortgleich zur CDU. Wofür es die Freien Demokraten da noch brauchte, schien sich vielen Wählern nicht zu erschließen. Bundespolitisch hat die Partei darauf auch nur eine Antwort: Die Schuldenbremse.
Statement-Szenario im Haus der FDP-Parteizentrale
Und nun?
Bis zur regulären Bundestagswahl ist es nicht mal mehr ein Jahr. Die FDP muss sich überlegen, wie sie unter den aktuellen Voraussetzungen überhaupt einen Bundestagswahlkampf stemmen will. Mit welchen Themen? Mit welchen Leuten? In den ostdeutschen Bundesländern ist die Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, in Baden-Württemberg und vor allem in Nordrhein-Westfalen bröckelt der Zuspruch erkennbar. Wie will die Partei unter diesen Voraussetzungen überhaupt noch die eigenen Leute motivieren Wahlkampf zu machen?
Derzeit zeigen Umfragen die Partei deutlich unter 5 Prozent. Der Wiedereinzug in den Bundestag wäre damit gefährdet.
Daher die Sehnsucht nach einem Befreiungsschlag.
Christian Lindner ist ein Opportunist. Einer, der sein Handeln danach ausrichtet, was ihm unter den aktuellen Gegebenheiten Erfolg verspricht. Aktuell steckt die Partei in einer ziemlichen Sackgasse. Weitermachen und sich in der verhassten Ampel-Koalition weiter kaputtschleifen? Keine gute Aussicht. Aber wie kommt man da raus?
Wie kann man erklären, dass gerade JETZT der Zeitpunkt ist, wo es nicht mehr geht?
Einfach auszusteigen, dafür jedenfalls scheint dem FDP-Vorsitzenden noch der Mut zu fehlen. Stattdessen wird geraunt, der Herbst der Entscheidungen ausgerufen, es wird angetäuscht. Mit dem 18-Punkte-Papier weckt Lindner Erinnerungen an 1982, als die FDP die sozial-liberale Koalition mit einem solchen Papier sprengte. Und er arbeitet daran, in der öffentlichen Debatte ein Bild aufzubauen, was ihm den Ausstieg erleichtern soll: Eine rote Linie.
Eingangstor beim FDP-Bundesparteitag 2024 in Berlin
Wie Wirtschaftspolitik auszurichten ist - das soll die rote Linie sein.
Als Olaf Scholz die große Industrie ins Kanzleramt lud, holte sich die FDP öffentlichkeitswirksam Vertreter:innen zu einem Paralleltreffen, die als Mittelstand präsentiert werden sollten. Die Botschaft: Die SPD denkt nur an die Großen, aber es ist doch der Mittelstand, in dem Deutschlands wirtschaftliche Stärke erwirtschaftet wird! An den denken nur wir – die FDP.
In seinem 18-Seiten-Papier vertieft Christian Linder dieses Bild, indem er durch die Blume Kanzler und Wirtschaftsminister vorwirft nur an die Großen zu denken:
„Die vertikale Industriepolitik konzentriert sich dabei traditionell auf größere Unternehmen meist auch mit den stärksten Interessenvertretungen (wie Intel oder Thyssen-Krupp), vernachlässigt hingegen den Mittelstand, das Handwerk und insbesondere neue und junge Unternehmen.“
Das ist nicht ganz falsch und nicht ganz richtig, weil aktuelle wirtschaftspolitische Entwicklungen aus dem BMWK auch den Mittelstand stärker in den Blick nehmen, aber hier kommt es gar nicht darauf an, was stimmt oder nicht – wir sind im Wahlkampf, hier geht es darum Bilder zu erzeugen. Bis hierhin und nicht weiter, zum Wohle des Mittelstandes können wir leider nicht mehr weitermachen mit der Ampel.
Aber reicht das schon?
Wahrscheinlich nicht. Deshalb enthält das Papier auch einige Spitzen – zum Beispiel eine Aufkündigung der nationalen Klimapolitik. Während gleich mehrere Hochwasserereignisse in diesem Jahr Eigentum in Deutschland und Europa vernichtet haben, während in Spanien über 200 Menschen gestorben sind, weil der Klimawandel auch in Europa das Extremwetter treibt – möchte die FDP klimapolitisch weniger Ambition zeigen.
Lindner vertuscht das ein wenig, indem er so tut, als würde man ja an den europäischen Zielen festhalten wollen und damit sei dann alles fein. In Wirklichkeit reicht schon das Ziel Klimaneutralität in Deutschland bis 2045 herzustellen nicht, um die Pariser Klimaziele (Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst 1,5, unbedingt aber deutlich unter 2 Grad Celsius, weil die dadurch entstehenden Schäden händelbar erscheinen) zu erreichen. Die durch diese Erderwärmung entstehenden Schäden, die eine Belastung für nationale Wirtschaftssysteme darstellen, tauchen in seinem ganzheitlich gedachten Konzeptpapier nicht auf. Subventionen für Erneuerbare will er abschaffen, klimaschädliche Subventionen nicht. In großen Teilen der FDP, die wahnsinnig mit Klimapolitik fremdelt, wird das 1:1 auf Zustimmung treffen – vor allem aber ist all das eine Provokation in Richtung der Koalitionspartner. Lindner kündigt hier den Koalitionsvertrag auf.
An vielen Stellen im Papier werden Kompromisse der vergangenen Jahre infrage gestellt. Der FDP-Parteichef stellt sich damit aktiv gegen eine Politik, die er selbst mit getragen hat, macht Themen wieder auf, die seine Koalition erarbeitet hat. Teils in monatelanger Kompromissarbeit.
Das Papier ist ein deutlicher Hebel für den Bruch der Ampel-Koalition. Es soll den Befreiungsschlag bringen. Doch gleichzeitig macht es ein erhebliches Fragezeichen an die Glaubwürdigkeit der Partei.
Wofür steht die FDP?
Wie verlässlich ist die Partei, wenn sie selbst noch in Regierung befindlich Regelungen, die sie selbst mit beschlossen hat, wieder zur Disposition stellt?
Wie viel ist das Wort der Freien Demokraten wert?
Natürlich werden auch Erinnerungen wach, an 2017, als sich die FDP wortreich aus den Jamaika-Sondierungen zurückzog. Die damals abgelehnte Verantwortungsübernahme wurde der Partei insbesondere von älteren Wählern übel genommen.
Am Freitag, wenige Stunden bevor Lindners Papier durch die angebliche Indiskretion bekannt wurde, meldete sich Verkehrsminister Volker Wissing mit einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Wort. [Link]
Wissing war 2021 in seiner damaligen Rolle als Generalsekretär der FDP ein zentraler Architekt der Ampel-Koalition. Zuvor hatte er in Rheinland-Pfalz eine geschmiedet.
Sein Gastbeitrag ist nicht auf der Parteiwebseite zu finden – anders als das Positionspapier des Parteichefs. Wissing ist mit seinem Beitrag einer der wenigen, die das Wort noch für die Koalition ergreifen.
Lindners Papier war offenbar nicht mit Partei und Fraktion abgesprochen – im Laufe des Wochenendes konnte man jedoch beobachten, wie sich die Fraktion hinter ihn stellt. Mit klaren Bekenntnissen in Social Media Beiträgen wurde der Parteichef gelobt. Einigkeit präsentiert. Erkennbarer interner Streit, das ist allen klar, würde das Überleben der Partei jetzt nur weiter gefährden. Deshalb sind alle auf Linie.
Wie es nun weiter geht?
Für Journalist:innen und Politikwissenschaftler:innen jedenfalls spannend. Für die Republik – naja. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai erklärte kürzlich im Podcast von Paul Ronzheimer, um die Wirtschaft stehe es so schlecht, wirtschaftliche Reformen dürften jetzt keinesfalls bis Januar dauern! Sollte die FDP jedoch die Ampel sprengen, es zu Neuwahlen kommen, würde die Republik in den kommenden Monaten erstmal in Schuldzuschreibungen und Wahlkampf versinken – nix mit den notwendigen Reformen. Und sollte Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen, dürfte sich die FDP die Frage gefallen lassen müssen, ob das gerade wirklich der richtige Zeitpunkt für solche Manöver ist.
Befreiungsschlag? Viel Glück.
Dass der Bruch tatsächlich kommt, ist noch immer nicht gesagt. SPD und Grüne reagieren auffällig ruhig. Betont ruhig. Und haben ihrem Koalitionspartner in den vergangenen Jahren schon so einiges durchgehen lassen. Aber Christian Lindner ist mit seinem Papier nun auch so weit auf die Palme geklettert, dass runterkommen schwierig werden dürfte.
An diesem Montag tagt das Präsidium der Partei, 11.30 Uhr Pressekonferenz mit Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Mittags das nächste Wirtschaftsgespräch mit dem Mittelstand. Dienstag: Fraktionssitzung. Mittwoch: Koalitionsausschuss. Vorher will sich der Kanzler mit Habeck und Lindner treffen.
Nächste Woche Dienstag: Mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht über eine Beschwerde von Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion von 2020. Die Abgeordneten halten den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig und wollen ihn nicht nur abgeschafft wissen, sondern auch rückwirkend die Mittel zurückgezahlt. Damals war die FDP Opposition im Bundestag – heute sind zwei der Beschwerdeführer:innen als parlamentarische Staatssekretär:innen im Finanzministerium tätig. Auch der heutige Vorsitzende der FDP-Fraktion, Christian Dürr, gehört zu den Beschwerdeführern, er wird am Dienstag bei der Verhandlung in Karlsruhe anwesend sein. Im Lindner-Papier bekräftigt CL die Forderung, den Soli abzuschaffen – den inzwischen nur noch Gutverdiener zahlen.
Nächste Woche Donnerstag: Bereinigungssitzung im Haushaltsausschuss. Endspurt für den Bundeshaushalt.
Wochenende 15-17.11.: Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen, bei der Robert Habeck sich zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2025 küren lassen will.
Wenn die Ampel bricht, dann irgendwann in diesen zwei Wochen.
Vielleicht am 11.11.? Alaf und Helau! Bei Neuwahlen Anfang März wäre immerhin Wahlkampf mit Kamelle möglich. Und der Atom-Untersuchungsausschuss würde dann deutlich eher zum Abschluss gebracht werden, was - unter uns - jetzt auch nicht das Schlechteste wäre. Aber dazu in einer anderen Ausgabe mehr.
Zum Schluss noch die Lösung eines kleinen Rätsels - falls Sie sich fragen, wie die Zuständigkeit für Klima, Energie, Umwelt und Landwirtschaft UND die FDP zustande kommt: Die Partei war halt “frei”, als ich den Job übernommen habe. Als ich mich kürzlich in einem Hintergrundgespräch mit einem Kabinettsmitglied mit diesem Portfolio vorstellte, wurde sehr laut gelacht.
Ich mach die Realität nicht, ich beschreibe sie nur.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit
Frau Büüsker