Moin!
Über 50 Millionen Schweine wurden 2021 in deutschen Schlachthöfen getötet. Über 50 Millionen Leben beendet, um das Fleisch der Tiere zu verzehren.
RUMMS - mit der Einleitung beziehungsweise Tür ins Haus gefallen. Keine Sorge, ich werde in dieser Ausgabe des Newsletters nicht versuchen, Sie zu bekehren, kein Fleisch mehr zu essen. Aber ich möchte gemeinsam mit Ihnen ins Nachdenken kommen – warum wir uns mit dem Vorgang, der Fleischverzehr überhaupt erst möglich macht, so wenig auseinandersetzen. Es scheint mir nur ein sichtbarer Aspekt der Entfremdung zwischen Gesellschaft & Landwirtschaft zu sein. Auf den Gedanken brachte mich eine Recherche zur geplanten Tierhaltungskennzeichnung - auch um diese soll es kurz gehen.
Eine kurze Contentwarnung: Dieser Newsletter enthält teilweise explizite Beschreibungen von Tötungen, vom Umgang mit Schlachtkörpern. Ich finde, wenn Sie Fleisch essen, sollten Sie das aushalten. Trotzdem möchte ich sie vorwarnen.
Hinten raus möchte ich außerdem ein bisschen erzählen, wie es mit diesem Newsletter weitergehen soll.
Ich freue mich, wenn Sie dabei sind – auch wenn ich Ihnen dieses Mal etwas zumute.
Darf ich vorstellen? Das ist Urmel. Halb Galloway, halb Highland-Rind. Wir nennen sie gelegentlich auch Klops, weil sie wirklich ein mächtiges Dickerchen ist. So wie Urmel nur noch ein bisschen lockiger und vor allem schwarz: So sah Winnetou aus.
Ein wunderschöner Galloway-Bulle, den mein Vater besaß, als ich ca. 8 Jahre alt war (grob geschätzt). Auch wenn ich mich heute kaum mehr an ihn erinnern kann, damals war ich völlig vernarrt in dieses Tier, beeindruckt von seiner Stärke, der Ruhe, die er ausstrahlte, den warmen Augen. Rinder sind ganz wundervolle Tiere, ich kanns nicht anders sagen.
Umso fürchterlicher war es für mich, als es eines Tages hieß, dass Winnetou an den Haken soll. Haken deshalb, weil das Fleisch nach der Schlachtung abhängen muss, beim ausgewachsenen Tier mindestens 14 Tage. Dazu wird der Schlachtkörper zerteilt und in Hälften oder Vierteln an Haken befestigt in Kühlräume gehängt.
Sie können sich das Drama sicher vorstellen, als Little Büüsker dachte, sie könnte Winnetou davor bewahren, was natürlich von Anfang an ein völlig aussichtsloses Unterfangen war. Immerhin, so der „Kompromiss“, den man mir anbot: Ich durfte jeden Gefrierbeutel, in dem Winnetou landete, mit einem W kennzeichnen. Jetzt lachen Sie bitte nicht, das ist natürlich in keiner Weise ein zufriedenstellendes Ergebnis, wenn man sich für das Leben eines Tieres einsetzt. Aber meine Erziehungsberechtigten hatten entschieden - und für sie war ein Zweck des Tierlebens der spätere Verzehr.
Mir aber war wichtig, das Leben zu ehren, das Individuum, das ich sehr geschätzt hatte. Und so stand ich nun da beim Verpacken - wir schlachteten ja für den Eigenbedarf, also landete der schwere Bulle Stück für Stück in Gefrierbeuteln in den heimischen Kühlgeräten - und zelebrierte es, mit Edding auf jeden Beutel ein großes W zu schreiben und einen Kreis darum zu ziehen. Damit jeder wusste: Das war ein Stück von Winnetou.
Wahrscheinlich fragen Sie sich schon seit ein paar Zeilen, wie man denn das Fleisch eines Tieres essen kann, das man gekannt, sogar geschätzt hat. Diese Frage habe ich im Verlauf meines Lebens sehr häufig gehört – nachvollziehbarerweise. Die Wahrheit ist: Ich kann das Tier gerade deshalb essen, weil ich es gekannt habe. Weil ich weiß unter welchen Umständen es gelebt hat, wie gut sein Leben war. Ich habe gesehen, wie die letzten Minuten seines Lebens waren, dass das Tier nicht in Angst gestorben ist, sondern im Kreise seiner Herde, deren Trauer ich einige Tage lang beobachtete. Ja, Herdentiere trauern um den Verlust ihrer Genoss:innen. Das Leben eines Tieres aus den Augen weichen zu sehen, in dem Moment, in dem der Bolzenschuss sitzt, es ist ein Anblick, den man nie vergisst.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Ich bin damit aufgewachsen, für mich ist es vollkommen normal. Es ist ein eingeübtes Verhalten, die Tiere als Nutztiere zu betrachten. Sie dennoch zu schätzen, zu pflegen, zu ehren, aber ja, auch über ihr Ende zu bestimmen. Und ja, auf eine gewisse Weise ist das zutiefst brutal.
Zur Wahrheit gehört außerdem: Die wenigsten Tiere haben das „Glück“ „daheim“ zu sterben. Sie werden zum Schlachthof transportiert, teilweise über lange Strecken. Sie riechen die Angst und den Tod, wenn sie vom Hänger getrieben werden. Vor allem in den großen Schlachthöfen geschieht das Töten im Akkord. Die Würde des Tieres spielt dort keine Rolle, ihr Leben ist egal, hier geht es schließlich darum es zu beenden.
In eben diesen Schlachthöfen spielt auch das Leben der Mitarbeitenden selten eine Rolle. Häufig werden hier Menschen aus Osteuropa eingesetzt, schlecht bezahlt, noch schlechter untergebracht. Während der Coronapandemie wurden Schlachtbetriebe zu Superspreaderorten.
Auch wenn die Schlachtbedingungen durch gesetzliche Vorgaben geregelt sind, es kommt immer wieder zu Verstößen. Mit einer schrecklichen Regelmäßigkeit tauchen Aufnahmen auf, die zeigen, wie der Tod von Tieren durch unsachgemäße Handhabung noch brutaler wird. Und das sind nur die Dinge, die wir zu sehen bekommen.
Die Tötung eines Tieres ist immer ein Gewalteingriff, den man aus guten Gründen moralisch ablehnen kann. Das jedoch erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Vorgang. Ich habe meine Zweifel daran, dass dies angemessen geschieht. Auch, weil das verarbeitete Produkt selten als Teil eines Lebewesens betrachtet wird. Dass die Currywurst auf dem Teller ein Tier mit Empfindungen war, mit befreundeten Artgenoss:innen, lieber nicht drüber nachdenken. Dass es zum Verzehr getötet werden musste, gedankliche No-Go-Area. Versucht man das (beim Essen) zum Thema zu machen, erlebt man die unterschiedlichsten Abwehrreaktionen. Du willst uns doch wohl nicht den Appetit verderben.
Hier mag sich bei einzelnen Individuen etwas geändert haben, die größeren Wert auf Leben und Sterben des Tieres legen, deren Fleisch sie verzehren. Bei einigen führt es auch zur bewussten Entscheidung, kein Fleisch mehr zu verzehren. Immerhin fast 8 Millionen Vegetarier:innen gibt es in Deutschland. Zudem sinkt der Fleischkonsum pro Kopf, 2021 waren es “nur” noch 55 Kilo pro Person. Aber auch diese 55 Kilo waren vorher lebendes Tier, das getötet werden musste.
Der Handel tut sein Übrigens, um den finalen Schritt der Produktwerdung vor den Verbraucher:innen verborgen zu halten. Fleisch wird stets mit Bildern lebender, glücklicher, sauberer Tiere beworben – was schon die Haltungsbedingungen der wenigsten Masttiere adäquat abbildet.
So führt die Präsentation zu einer weiteren Entkopplung des kaufbaren Produkts vom den Bedingungen, unter denen es produziert wurde. Diese düsteren Aspekte werden ausgeklammert, was die Entscheidung für das Produkt erleichtert. Das Tabu dadurch manifestiert.
Die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Thema wiederum macht es möglich, dass Bedingungen schlecht sind. Für Mensch und Tier. Wo niemand aufmerksam hinguckt, herrscht kein Handlungsdruck. Und damit meine ich nicht, dass dort Schindluder getrieben wird - auch das. Sondern dass die erlaubten Grundbedingungen nicht gut sind, aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit aber kein Druck entsteht, sie zu verbessern. Das wiederum gilt für viele Bereiche der Landwirtschaft.
Mein Appell für 2023:
Setzen Sie sich stärker damit auseinander, wie die Produkte, die Sie konsumieren, produziert wurden. Das gilt sowohl für Fleisch, aber auch für andere Lebensmittel.
Seit ich vor einem Jahr die Zuständigkeit für die Landwirtschaftspolitik übernommen habe, erlebe ich wöchentlich, wie gering das Interesse an diesem Themenbereich ist, wie wenig Wissen über die Zusammenhänge besteht. Das soll kein Vorwurf sein, eher ein frustrierte Beschreibung des Status quo. Unsere Lebensweise hat uns völlig davon entfremdet, wie unsere Nahrung produziert wird und das ist keine gute Entwicklung. Weil entsprechend der politische Handlungsdruck fehlt, gute Rahmenbedingungen zu schaffen, weil sich Produktion so auch auf Exporte fokussiert hat und weil nur informierte Verbraucher:innen auch mündige Bürger:innen sein können. Oder um es zuzuspitzen: Freie Entscheidungen kann nur treffen, wer informiert ist. Die Bedingungen unseres Lebens sind nicht dafür gemacht, ich weiß. Alles muss schnellschnell gehen, wir verbringen viel Zeit mit Arbeit, zu wenig Zeit mit Leben, wer hat da noch Zeit beziehungsweise Aufmerksamkeitskapazität für so etwas.
Seufz. Ich kenns ja auch zu Genüge. Und ehe man sich versieht hat man aus Versehen doch wieder im Supermarkt die Äpfel aus Neuseeland erwischt.
Ein Versuch: Die Tierhaltungskennzeichnung
Am Punkt Transparenz setzt die geplante Tierhaltungskennzeichnung der Bundesregierung an. Ziel ist es, bei Fleischprodukten erkennbar zu machen, unter welchen Bedingungen das jeweilige Tier gehalten wurde. Was zumindest ein bisschen Transparenz herstellt.
Das Gesetz hat allerdings noch ziemliche Lücken – und setzt ziemlich viel voraus.
Für den Deutschlandfunk habe ich in einer Recherche unterschiedliche Akteure angehört und die Pläne sowie die Probleme aufgedröselt:
https://www.deutschlandfunk.de/tierwohl-kennzeichen-schweinefleisch-100.html
Ohne hier jetzt alles zu wiederholen, doch ein kurzer Auszug:
Geplant sind Kategorien für die Haltungsformen:
Stall, Stall plus Platz, Frischluft, Auslauf/Freiland, Bio
Stall meint in diesem Fall tatsächlich den gesetzlichen Mindeststandard – 0,75 Quadratmeter pro Mastschwein. In der nächsten Kategorie gibt es dann ein bisschen mehr Platz dazu, sowie Strukturelemente, zum Beispiel verschiedene Klimabereiche/Funktionsbereiche.
Ja, genau, hä?
Die Kategorien sind aus meiner Sicht nicht wirklich geeignet, Transparenz herzustellen, gerade weil die meisten Menschen überhaupt keine Ahnung haben, wie es in einem Schweinestall aussieht. Und wer soll dann sowas wie „Funktionsbereiche“ verstehen? Vielleicht kann diese Kennzeichnung ein erster Schritt sein, der aber in jedem Fall mehr Auseinandersetzung der Verbraucher:innen notwendig macht.
Damit landen wir wieder beim grundsätzlichen Problem: Der Kluft zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft. Die zu schließen, wird viel Arbeit.
Die wir aber machen müssen, weil z.B. die Tierzucht in Deutschland so nicht weitergehen kann. In Schweinemast wurde in den vergangenen Jahren enorm auf Masse produziert – auch für den Export. Durch die afrikanische Schweinepest sind viel Exportmärkte, insbesondere in Asien allerdings weggebrochen. Darüber hinaus ändern sich Ernährungsgewohnheiten. Auch, weil inzwischen klar ist, dass übermäßiger Fleischkonsum nicht gut für die Gesundheit ist.
Heißt: Die Branche ist ohnehin unter Transformationsdruck geraten. Der durch die Klimakrise weiter steigt. Eine Reduktion der Tierbestände muss und wird kommen, sage nicht ich, sondern die Zukunftskommission Landwirtschaft. Die Veränderung hat längst begonnen, die Frage ist jetzt, wie wir sie gestalten - wie bei so vielen Dingen gerade.
Stichwort gestalten. Und wie geht es hier jetzt weiter?
Dieser Newsletter entstand aus einer fixen Idee heraus, die ich schnell umgesetzt habe, bevor ich sie mit lauter “wenns” und “abers” zerdenken konnte, wie so viele andere. Einfach mal was ausprobieren. An dieser Stelle herzlichen Dank, dass Sie Bock hatten dabei mitzugehen! Auch Grüße an die zahlreichen Kolleg:innen, die mitlesen, schön, dass ihr neugierig bleibt :D
Wissend, wer alles zuguckt, ist es immer schwer, sich von Erwartungen frei zu machen. Dennoch bekomme ich für mich mit jeder Ausgabe klarer, was ich hier machen möchte - erzählen, informieren, laut nachdenken, Blickwinkel teilen. Dies ist ein Format mit Perspektive - und zwar meiner. Entsprechend nah wird es hier und da, so wie in dieser Ausgabe. Andere Ausgaben werden wieder faktengetriebener, wiederum andere werden Erlebnisberichte sein, die Liste der Ideen jedenfalls ist lang :)
Kurz gesagt: Ich möchte weiter machen - mit dem Ziel etwa alle 14 Tage etwas zu publizieren. Immer mit dem Wunsch, nicht nur abzubilden, sondern Stränge zusammenzuknüpfen. Einen üüberblick zu liefern. Künftig soll dieser Newsletter in Richtung Wochenende bei Ihnen im Postfach landen. Bitte erschrecken Sie nicht, wenn es mal alle 7 Tage wird, denn ein bisschen ausprobieren steht auch weiterhin an.
Eine Bitte:
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Ich freue mich, wenn ich auch nächstes Mal in Ihr Postfach schlüpfen darf.
Bis dahin - schöne Feiertage
Frau Büüsker