Sonnenenergie für alle
Ausgabe 16 - Wie Deutschland bei Solarstrom richtig ballert und wie mehr Teilhabe an der Energiewende gelingen kann
Moin!
Deutschland verkackt hier, Deutschland versemmelt es da, diese Ziele werden gerissen, jene Benchmark verpasst und mit der Wirtschaft geht’s gerade auch den Bach runter, kranker Mann Europas, Lirum, larum Löffelstiel. Sie entnehmen diesen Sätzen vielleicht eine ganz dezente Müdigkeit ob der dauerhaften Schlagzeilen wie schlimm doch alles sei. Und ja, es läuft ja auch an vielen Stellen nicht rund, Haare in der Suppe zu finden ist außerdem journalistische Kernkompetenz, aber in dieser Ausgabe erzähle ich Ihnen dennoch mal eine Erfolgsstory. Und keine Sorge, damit niemand übermütig wird, hat auch die ein paar „Aber“.
Schön, dass Sie dabei sind!
Die gute Nachricht ist: Deutschland performt richtig geil, sogar über. Und zwar wenn es um den Ausbau der Photovoltaik geht.
Jahresausbauziel waren 9 Gigawatt installierte Leistung – das wurde jetzt bereits 3 Monate vor Jahresende erreicht. Da die Ausbauziele in den kommenden Jahren stetig steigen und wirklich ambitioniert sind, ist es ein gutes Zeichen, wenn wir jetzt schon überm Soll sind. Es zeigt auch: Die Bereitschaft ist da, wenn die Bedingungen stimmen. Und zu den guten Nachrichten gehört eben auch, dass die Politik genau da dran ist, diese Bedingungen noch passender zu machen.
Im August wurde im Kabinett das Solarpaket 1 beschlossen. Das bringt nun verschiedene Gesetzesvorhaben in den Bundestag. Das Wirtschaftsministerium hat im Mai schon ein Strategiepapier veröffentlicht, wie das Haus sich das Ergebnis vorstellt. Eine Skizze, ein Plan, das Wie wird jetzt durch die Parlamentarier:innen gestaltet.
Das grundsätzliche Ziel ist, 2030 215 Gigawatt installierte Solarleistung zu haben. Geht es nach Habecks Ministerium, soll die Hälfte davon aus Dächern stehen, die andere Hälfte auf Freiflächen. Und schon da wird es heikel, wenn wir über gute Bedingungen sprechen. Denn Flächenverfügbarkeit wird in Deutschland zunehmend zum Problem - Industrie, Wohnraum, Landwirtschaft, Naturschutz - der Konkurrenzdruck ist riesig. Newsletterausgabe kommt, versprochen. Eine Grünfläche also einfach bloß mit Solarmodulen zukleistern - schwierig. Damit genau das nicht passiert, versucht die Bundesregierung zum Beispiel Formen der Agri-PV attraktiver zu machen. Also etwa den Anbau von Gemüsepflanzen unter/neben Solarmodulen, Weidetierhaltung kombiniert mit PV - die dann als Schatten dienen kann - oder PV-Anlagen auf wiedervernässten Moorböden. Auch die Überdachung von Parkplatzflächen ist denkbar – man könnte hier eine Menge kluge Lösungen finden, wenn man denn will. [Link] Und das muss gesetzlich dann eben auch möglich gemacht werden.
Zur Veranschaulichung der Aufgabe eine Grafik aus der Solar-Strategie
Die andere Hälfte des Ausbaus soll auf Dächern passieren, auch hierfür bringt das Solarpaket 1 einige Erleichterungen mit. Im Detail kennen wir die nach Beschluss des Bundestages. Einen Aspekt möchte ich aber schon jetzt besonders herausheben:
Es soll viel einfacher werden, Steckersolargeräte zu installieren.
Und ich sags wies ist: Da bin ich Fan.
Kurzer technischer Einschub oder Sie scrollen einfach schonmal voran zum Aspekt gesellschaftliche Relevanz.
Minimales Grundwissen Balkonkraftwerke
Steckersolargeräte oder Balkonkraftwerke sind kleine, vergleichsweise preiswerte Lösungen, die installiert werden können, ohne dass es zwingend einen Handwerker braucht. Module aufs Dach oder an den Balkon, Wechselrichter dran, Stecker, Steckdose, fertig – auch wenn die derzeit gültige Norm das mit dem Stecker in Deutschland so eigentlich nicht zulässt. Räusper. [Link] Gemacht wird es trotzdem.
Die Anlage muss sowohl beim Netzbetreiber, als auch bei der Bundesnetzagentur angemeldet werden, der Betrieb ist nur mit bestimmten Zählern erlaubt.
Bisher.
Die Bundesregierung möchte die Anmeldung vereinfachen, die Nutzung auch mit alten Zählern ermöglichen, die erlaubte Leistungsfähigkeit des Wechselrichters erhöhen sowie in einem separaten Gesetzesvorhaben aus dem Justizministerium auch dafür sorgen, dass es für Mieterinnen und Mieter einfacher wird, eine solche Anlage zu installieren, aber auch für Eigentümer:innen in Hausgemeinschaften. Das könnte ein ziemlicher Gamechanger werden, denn bisher scheitern Vorhaben oft am mangelnden Einverständnis der anderen.
Der Verein Balkon Solar ist hier wahnsinnig gut informiert und engagiert, hat durch eine Petition Druck auf die Politik ausgeübt – wer sich für die Details interessiert, dem sei die Vertiefung dort dringend ans Herz gelegt. Wer eine Anlage plant, findet hier ziemlich viele praktische Tipps, die Balkonsolar-Community im Netz ist groß und sehr hilfsbereit. Energiewende gemeinschaftlich gemacht. [Link]
Ich finde die kleinen Kraftwerke vor allem deshalb großartig, weil sie für viel mehr Menschen möglich sind und damit die Energiewende zugänglicher machen. Ja, man braucht immer noch einen Balkon, etwas handwerkliches Geschick und Fähigkeit, Zeit und Muße sich damit auseinanderzusetzen. Aber es braucht eben kein Eigentum und kein großes Dach mehr, um eigene Energie zu erzeugen. Noch mehr Bürgerinnen und Bürger können selbst Strom für den Eigenbedarf erzeugen – wie gut ist das bitte? Ein Stück Unabhängigkeit von großen Konzernen, das auch zu einem bewussteren Umgang mit Strom führen kann. Denn der kommt plötzlich nicht mehr nur aus der Steckdose, er entsteht auf dem eigenen Balkon/im eigenen Garten.
Mein Vater besitzt seit kurzem auch ein kleines Kraftwerk, das er auf dem Scheunendach installiert hat. Theoretisch wäre hier Platz für eine größere Anlage gewesen, aber in der Abwägung von Investitionskosten, Amortisierung, potentieller Lebensdauer und Einspeisevergütung hat er sich für die kleine Variante entschieden. Auch, weil er die alleine installieren konnte.
Die App, die die Stromerzeugung dokumentiert, ist seitdem die meistgenutzte auf seinem Telefon, der Stolz über den eigenen Strom ist groß. Die Waschmaschine läuft nun stets, wenn die Sonne am höchsten steht und auch Töpfe wandern jetzt in den Geschirrspüler, damit der häufiger laufen kann. Schließlich will man den produzierten Strom ja auch verbrauchen und nicht dem Netzbetreiber schenken, wo kämen wir denn da hin.
Der so produzierte Strom kann kaum den gesamten Bedarf eines Haushalts decken, er kann jedoch eine Ergänzung darstellen. Insbesondere, wenn man seinen Bedarf durch gezielte Nutzung von Geräten an die Produktionszyklen anpasst. Viel Sonne = viel Strom = guter Zeitpunkt für Verbrauch. Strom vom Energieversorger wird weiterhin gebraucht, insbesondere für die dunklen Stunden, denn auch wenn es mittlerweile sogar Steckersolargeräte mit Speichern gibt - die geringe Größe der Anlagen limitiert eben auch die Erzeugungsmöglichkeiten.
Dennoch: Steckersolargeräte ermöglichen Teilhabe an der Energiewende. Klimaschutz mit konkretem Nutzen für den/die Einzelne:n, ohne dass dafür eine gewaltige Investition notwendig wäre oder gar Verzicht. Auf Landesebene und in Kommunen gibt es teilweise Förderprogramme, die die Anschaffung bezuschussen, sodass man schon mit wenigen hundert Euro Eigenanteil dabei ist.
Fördermittel gab es gerade auch für die Kombination von E-Auto und Solaranlage auf dem Dach des eigenen Hauses. Ein Förderprogramm des Verkehrsministeriums, das sich ausschließlich an Eigenheimbesitzer gerichtet hat und schon nach nicht mal 24 Stunden komplett abgefischt war - so gut kam die Idee an.
Man kann sich angesichts der Haushaltslage fragen, ob solche Fördermittel für eher finanziell gut Situierte wirklich zur Priorität gehören sollte. Gleichzeitig unterstreicht das hohe Interesse an der Förderung aber: Auch hier ist die Bereitschaft da, die Leute haben Bock. Den Sprit für das eigene Auto auf dem eigenen Dach zu produzieren, ist für viele offensichtlich eine richtig gute Aussicht.
Aber bei aller Euphorie.
Sie alle kennen den Standardsatz, der regelmäßig von Leuten kommt, die die Energiewende ablehnen: „Wir können unseren Strombedarf nicht nur mit Wind und Sonne decken!“
Keine Sorge Onkel Harald, das will auch keiner.
Denn ja, wenn keine Sonne scheint, wird es schwierig mit dem Strom aus Solarmodulen. Und ohne Wind dreht sich kein Windrad. Auch deshalb ist es so fatal, wenn einzelne Bundesländer z.B. nur auf den Ausbau von Solar fokussieren (Grüße, Markus!). Während in den warmen Jahreszeiten eher die Sonnenkraft punktet, sorgen Herbst und Winter in der Regel für viel Wind - Sonne und Wind ergänzen sich daher über das Jahr betrachtet gut. Es braucht dennoch mehr als das, nicht nur für eventuelle Dunkelflauten (kein Wind, keine Sonne). Diese mögen selten sein, sind aber möglich. Es wird in Zukunft regelbare Kraftwerke brauchen, sicher verfügbare Energie, die zum Beispiel aus großen Speichern kommt oder aber durch Gaskraftwerke erzeugt wird. Wie hier derzeit Infrastruktur getestet und ausgebaut wird, habe ich in einer der letzten Ausgaben bereits vertieft:
Hier zur Ausgabe: [Link]
Niemand setzt also nur auf Wind & Sonne - unser Stromsystem wird komplexer. Das ist alles noch n ziemlicher Fußmarsch, der da vor uns liegt, aber eine kleine Etappe hat Deutschland mit dem Solarziel dieses Jahr gerade geschafft. Es tut sich was - und keinesfalls ist gerade alles mies.
Stichwort Teilhabe.
Bevor ich Ihnen gleich noch ein paar Hör- und Lesetipps mitgebe, möchte ich Ihnen meinen Crush des Jahres vorstellen:
Öffentliche Bibliotheken und ihr digitales Angebot.
Ich war zuletzt in der Grundschule Mitglied einer Bibliothek, um nach dem Unterricht rüberzuflitzen und die Nase in Lucky Luke-Comics zu vergraben. Seit der vergangenen Woche bin ich nun Mitglied der Berliner Bibliotheken und Verzeihung, aber wie überragend ist bitte das Angebot? Zugegeben, nach Comicheften habe ich noch nicht geguckt, derzeit bestaune ich vor allem die üppigen digitalen Möglichkeiten.
Und damit meine ich nicht die zahlreichen Bücher, mit denen man sich aufschlauen kann, sondern vor allem das Angebot an Presseerzeugnissen. Über die Onleihe lassen sich diverse überregionale Tages- und Wochenzeitungen ausleihen, über weitere Apps komme ich an Regionalzeitungen aus ganz Deutschland und internationale Presse, ach und wenn dann noch Zeit ist, blättert man sich durch zahlreiche Magazine. Und das alles in Berlin für nen Zehner im Jahr.
Meckern Sie nicht mehr über Paywalls, werden Sie Bibliotheksmitglied.
Aber zahlen Sie bitte auch da, wo Sie das Angebot besonders schätzen, denn guter Journalismus kostet Geld.
Aber gerade für jene, die wenig davon haben, ist das Angebot der Bibliotheken schlicht der Hammer. Es ist mir fast ein bisschen unangenehm, dass ich dies erst jetzt entdeckt habe, umso dringender mein Bedürfnis, dieses großartige Angebot nun jedem unter die Nase zu reiben. Gutes muss man teilen, tun Sie das bitte auch.
Apropos Gutes teilen.
Hier die angekündigten Empfehlungen!
Zum Hören: Schottland und der Klimawandel - Von torfigem Whisky und rülpsenden Kühen [Link]
In schönen Reportagen nehmen David Ehl und Katharina Peetz uns Hörer:innen mit nach Schottland und zeigen, mit welchen Strategien die Klimakrise dort angegangen wird. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in UK unterhaltsam bis Mut machend.
Zum Hören: In Polen [Link]
Am 15. Oktober finden in Polen Parlamentswahlen statt. Wo das Land innenpolitisch steht, wer für was steht, wo Risse verlaufen, wie der Wahlkampf geführt wird - all das erzählen die beiden ARD-Korrespondent:innen Kristin Joachim und Martin Adam. Schön produziert, gut erzählt, macht schlauer.
Zum Lesen: The trials of Robert Habeck [Link]
Aufschluss- und facettenreiches Stück des Guardian, das Wirtschaftsminister Robert Habeck über mehrere Monate hinweg begleitet. Heranzoomen auf deutsche Machtpolitik, politischen Pragmatismus, Klimarealismus und insgesamt ein sehr lesenswerter Außenblick.
Viel Vergnügen - ob im Onlinekatalog ihrer Bibliothek, bei einem der Audios oder beim Planen Ihres Balkonkraftwerks.
Empfehlen Sie diesen Newsletter weiter, gerne auch an Onkel Harald!
Bis zum nächsten Mal.
Frau Büüsker
Vielen Dank für den Artikel!
Seit 2019 informiere ich in meiner Gemeinde und im Umland über die Möglichkeiten privater Dach-PV-Anlagen. In den 4 1/2 Jahren habe ich die Errichtung einiger Dutzend Anlagen begleitet und alle Nutzer*innen berichten einhellig, was Sie ebenfalls schildern: Man passt seinen Verbrauch "instinktiv" bestmöglich der Produktion an.
Für alle, die kein eigenes Dach haben, wären flexible Stromtarife - neben den von Ihnen zu Recht empfohlenen Balkonkraftwerken - eine Option, ihren Verbrauch an die Verfügbarkeit von Strom anzupassen; ganz simpel über den Preis. Leider hat Deutschland auch hier geschlafen, denn beim Rollout von Smartmetern, die hierfür Voraussetzung sind, ist unser Land unter den Schlusslichtern in Europa.
Abschließend: Das Programm der Regierung, das Solardächer und Speicher in Verbindung mit E-Autos fördert (300 Mio) war - wie Sie schreiben -binnen 24 Stunden überzeichnet. Das zeigt, dass das Interesse und die Bereitschaft, zur Energiewende beizutragen, riesengroß sind. Das sofort erhobene Lamento, es würden nur Reiche gefördert, aber das 49-Euro-Ticket usw. usf. ist nicht zielführend. Leute, die die Förderung in Anspruch nehmen, investieren immer noch deutlich fünfstellig. Und wer soll denn vorangehen, wenn nicht diejenigen, die es sich eben (ggf. auch nur mit der Förderung) leisten können?
Suchen Sie weiterhin Suppe in den Haaren, ich freue mich auf den nächsten Newletter!