Notfall auf See: Das Havariekommando
Ausgabe 27 - Wie Deutschland Lehren aus einem schweren Schiffsunglück zog
Moin!
Die Ostsee ist vielleicht knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt. Am Freitag wurde der Frachter Eventin nach einem Stromausfall manövrierunfähig. Bei starkem Wind und hohen Wellen. Das Schiff hat fast 100.000 Tonnen Öl geladen. Der Tanker wird von Greenpeace zur sogenannten russischen Schattenflotte gezählt – eine Armada teils maroder Tanker, mit denen Russland die europäischen Ölsanktionen umgeht. Und auch immer so ein bisschen Umweltkatastrophen riskiert. Hybride Kriegsführung eben, Hauptsache Unruhe stiften.
Doch Deutschland ist auf Schiffsunglücke vor seinen Küsten überraschend gut vorbereitet. Dank des Havariekommandos. In dieser Ausgabe gehen wir gemeinsam an Bord der Neuwerk und in den Sonderlageraum einer Institution, die sogar den deutschen Föderalismus überstimmt. Ich weiß, das klingt jetzt fast zu gut um wahr zu sein.
Schön, dass Sie dabei sind
Fischbrötchen gibt’s auch.
An Bord des Mehrzweckschiffes Neuwerk
„Dafür bin ich nicht zuständig“ – einer der frustrierendsten Sätze, die man zu hören bekommen kann, wenn man versucht ein Problem zu lösen. Ich gebe zu, ich verwende ihn inzwischen auch gelegentlich, weil man sich nicht jedes Problem ans Bein binden kann, aber immerhin fühle ich mich danach immer ein bisschen schmutzig.
1998 führte die „Dafür bin ich nicht zuständig“-Denkweise zu einer schlimmen Ölkatastrophe im deutschen Wattenmeer. Die Pallas, ein Holzfrachter unter der Flagge der Bahamas, lief vor Amrum auf Grund.
Am 25. Oktober bricht auf dem Frachter Feuer aus. Das Schiff befindet sich in dänischen Gewässern. Zunächst gelingt eine Löschaktion – doch das Feuer bricht erneut aus. In der Nacht wird die Besatzung von dänischen und deutschen Rettungskräften in Sicherheit gebracht.
Das Schiff ist jetzt führungslos. Ja, niemand mehr an Bord. Es treibt in deutsche Gewässer ab.
Erst jetzt werden die deutschen Behörden aktiv. Erst jetzt werden die Mehrzweckschiffe Mellum und Neuwerk losgeschickt. Sie brauchen Stunden, bis sie den Frachter erreichen.
Das Drama nimmt seinen Lauf. Der Mellum gelingt es zwar mehrfach eine Verbindung zur Pallas herzustellen – doch sie reißt immer wieder ab. Der Frachter treibt ins flache Wasser vor Amrum, die Einsatzschiffe können hier nichts mehr ausrichten. Das Schiff brennt noch immer, inzwischen tritt Öl aus. Als wenige Tage später versucht wird, den Frachter ins tiefere Wasser zu ziehen, bricht die Pallas auseinander.
Der Schaden ist maximal.
Es dauert bis Mitte Januar das Öl zu sichern, erst im Sommer 1999 sind die Arbeit am Wrack abgeschlossen. Es wird teilweise zerlegt, mit Beton und Sand gefüllt und im Meer versenkt. Noch heute ragt die Pallas bei Niedrigwasser aus der See vor Amrum hervor – ein Mahnmal dafür was passiert, wenn sich niemand kümmert. [Link]
Als Lehre aus dem Pallas-Desaster wurde das Havariekommando gegründet. Um eben nicht die Alarmkette erst zu aktivieren, wenn das Problem in den deutschen Zuständigkeitsbereich hinein treibt, sondern frühzeitig loszulegen. Ein Arbeitskreis für Notsituationen mit der Lizenz zum Kümmern.
Wann immer jetzt auf See die Kacke am dampfen ist, ist das Havariekommando dran. Im aktuellen Fall der Eventin hat das Havariekommando am Freitag, den 10.01. auf Anfrage der Verkehrszentrale Warnemünde die Einsatzleitung übernommen. Zu diesem Zeitpunkt trieb die Eventin nach einem Stromausfall manövrierunfähig nördlich vor Rügen. Jetzt laufen alle Drähte in Cuxhaven zusammen.
Im dortigen Maritimen Sicherheitszentrum trifft sich der Leitungsstab des Havariekommandos im Sonderlageraum. Bildschirm an der Wand, Tische in der Mitte, Pläne raus – was machen wir. Welche Kräfte können mobilisiert werden, wo werden sie gebraucht.
Das Besondere: Das Havariekommando setzt keine eigenen Kräfte ein, es greift auf alle verfügbaren Mittel zurück. Feuerwehr, THW, Mehrzweckschiffe des Bundes, Wasserschutzpolizei, Zoll, Bundespolizei, sogar Mittel der Deutschen Marine.
Alles – egal ob Land oder Bund – wird der Einsatzleitung unterstellt. Föderalismus ausgehebelt.
Umweltministerin Steffi Lemke beim Besuch im Sonderlageraum des Havariekommandos
Aus dem Sonderlageraum werden telefonisch die notwendigen Mittel angefordert und dorthin geschickt, wo sie gebraucht werden. Um einen Brand auf einem Schiff zu löschen, bei einem Offshore-Windkraft-Unfall zu helfen * oder wie im Fall der Eventin ein manövrierunfähiges Schiff zu sichern.
Im Schnitt gebe es fünf dieser großen Einsätze pro Jahr, so erzählte es Robby Renner, der Leiter des Havariekommandos, beim Besuch von Umweltministerin Steffi Lemke im Juli 2024 – in diesem Rahmen war ich auch vor Ort in Cuxhaven. Lemke ist gar nicht für das Havariekommando zuständig – es liegt im Aufgabenbereich des Verkehrsministeriums. Doch weil die Arbeit des Havariekommandos auch des Meer schützt, wollte sie mal vorbei gucken und Wertschätzung ausdrücken.
Den Rest der Zeit zwischen den Einsätzen wird in Cuxhaven nicht in der Nase gebohrt – es werden Einsatzszenarien durchdacht, geplant und gelegentlich auch geübt. Im Oktober wurde etwa ein großer Ölunfall auf der Ems durchgespielt. [Link]
Ölsperre der Neuwerk
Im gleichen Monat wurde außerdem die Rettung nach einem Unfall an einer Offshore-Windanlage geprobt. In der Übung mussten zwei Verletzte geborgen werden. [Link]
Offshore-Windanlagen machen die Gefahrenlage auf See nochmal komplexer. Nicht nur können bei ihrem Bau und Betrieb Unfälle stattfinden, die sind auch zusätzliche Hindernisse, mit den Schiffe kollidieren können. Nichts womit man nicht umgehen könnte, aber immer besser, darauf vorbereitet zu sein.
Stichwort vorbereitet. Wie sind wir eigentlich darauf vorbereitet, dass da Tanker durch die Meere schippern, die potenziell eine Umweltkatastrophe als Teil einer hybriden Kriegsführung auslösen könnten?
Nunja.
Dabei ist das nicht mal ein theoretischer Fall.
Im Schwarzen Meer sind im Dezember zwei russische Tanker havariert. Die Schiffe hatten insgesamt 9.200 Tonnen Schweröl an Bord – also deutlich weniger als die Eventin. Aber ekliges Zeug. Bei den Schiffen soll es sich nach Angaben der Ukraine um Binnenschiffe handeln – also Schiffe, die für das raue Wasser der See definitiv nicht geeignet sind.
Das ausgetretene Öl verseucht Teile der Krim sowie Südrusslands. Dutzende Freiwillige versuchen die Strände zu säubern, die Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt sind katastrophal. [Link]
In diesem Fall schneidet sich Russland mit der Verschmutzung der eigenen Strände auch ins eigene Fleisch. Der Vorfall unterstreicht aber, zu welchem Risiko Moskau bereit ist, um Öl zu transportieren.
Welches Risiko die Schattenflotte Russlands darstellt.
Und da reden noch gar nicht über etwaige Sabotageakte in der Ostsee, Stichwort Kabel. [Link]
Profil der Eventin bei Vesselfinder
Im Fall der Eventin konnte durch das Eingreifen des Havariekommandos eine Eskalation verhindert werden, etwa eine Kollision, ein auf Grund laufen. Aber vielleicht auch nur wegen dieses Einsatzes. Kurz nach Ausfall der Systeme auf dem Schiff frischte der Wind auf, seine Sicherung und Abschleppung erfolgte unter Sturmböen und hohen Wellen. Da hatten alle Beteiligten tüchtig was zu tun.
Gesichert wurde der Tanker zunächst vor Sassnitz, von dort will der Reeder das Schiff Richtung Dänemark schleppen lassen - mit gecharterten Schleppern. Dort soll es repariert werden. Die Ladung des Schiffs darf dort jedoch nicht gelöscht werden – das Öl an Bord unterliegt europäischen Sanktionen.
Es stammt aus dem Hafen von Ruga und war auf dem Weg nach Ägypten. Der Tanker fährt unter der Flagge Panamas. Laut Greenpeace hat die Eventin mehrere bekannte Mängel und wurde bereits bei riskanten Manövern beobachtet – wie der Schiff zu Schiff Übergabe von Öl. Was soll schon schief gehen. [Link]
Das Schiff wurde in den letzten Jahren mehrfach verkauft, weil die letzten Eigner sanktioniert wurden – weil sie als Teil Russlands Schattenflotte identifiziert wurden. Die aktuelle Eignerfirma „Laliya Shipping Corp“ steht aktuell noch auf keiner Sanktionsliste. [Link]
Das Manöver an diesem Wochenende wird die Reederei jedenfalls teuer zu stehen kommen. In den nächsten Tagen flattert ihnen eine Rechnung des Havariekommandos ins Haus – vorausgesetzt jemand hat sich die Adresse der windigen Geschäftsleute geben lassen. Einsätze des Havariekommandos werden nämlich von denen bezahlt, die sie verursachen, nicht von der Allgemeinheit.
Nice.
In der nächsten Ausgabe begeben wir uns in andere Untiefen – dann nehme ich Sie, wie schon versprochen, in die Befragungen des Atom-Untersuchungsausschusses mit. Diese Woche stehen dort die letzten an – die Minister:innenriege kommt vorbei. Am Mittwoch Steffi Lemke, Christian Lindner und Wolfgang Schmidt. Am Donnerstag Robert Habeck und Olaf Scholz. Ich tickere stets ein bisschen auf Bluesky, also wenn Sie super neugierig sind, sehen wir uns dort.
Ansonsten freue ich mich, wenn Sie diese Ausgabe oder den Newsletter insgesamt weiter empfehlen oder meinetwegen auch Ihren größten Feind:innen zur Qual ans Herz legen, falls Sie ihn ganz grausig finden.
Bis zum nächsten Mal!
Frau Büüsker
Achso, Fischbrötchen hatte ich versprochen. Für mich immer mit Bismarck-Hering und ohne Zwiebeln. Guten!
* An dieser Stelle wurde der Text im Nachhinein geändert und die Zuständigkeit für die Koordinierung der Rettung Schiffbrüchiger gestrichen - diese liegt weiterhin bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger.