Kohleausstieg im Osten - Aber wie?
Ausgabe 11 - Warum Mühlrose nicht wie Lützerath ist und wir, wenns blöd läuft, Kohlestrom staatlich subventionieren müssen
Moin!
„Idealerweise“ 2030. Nachdem der vorgezogene Kohleausstieg für das rheinische Revier bereits beschlossene Sache ist, richten sich jetzt alle Blicke auf den Osten Deutschlands. Die Klimaziele sind ohne einen früheren Kohleausstieg nicht zu erreichen, aber den wirklich umzusetzen, das ist ne harte Nuss.
Versorgungslage, Netzstabilität, ein tschechischer Investor als Verhandlungspartner, ein Ministerpräsident mit Sorgen um seine Wiederwahl in einem Bundesland, in dem die AfD stärkste Kraft werden könnte und wenn’s richtig dumm kommt, müssen wir sogar noch Geld draufzahlen, um weiter Kohlestrom zu produzieren. Geben Sie noch eine Prise Salz dazu und wir haben einen wunderbaren Clusterfuck.
In dieser Ausgabe des Newsletters versuche ich all das für Sie auseinanderzuklamüsern.
Schön, dass Sie dabei sind!
Ausrangierter Kohlebagger im Bergbau-Technik-Park Großpösna
Sie kennen ja wahrscheinlich Leute mit so Spleens, also Interessengebieten, die nicht unbedingt dazu taugen, auf Partys wie ein normaler Mensch zu wirken, aber dazu führen, dass man mit leuchtenden Augen umfangreiche Geschichten erzählen kann.
Nun. Ostdeutsche Braunkohletagebaue und Kraftwerke gehören zu meinen Spleens.
Deshalb und weil ich westdeutsch sozialisiert bin, weiß ich, wie wichtig ein Blick in die Geschichte ist, um die gegenwärtige Diskussion über Braunkohle in Ostdeutschland zu verstehen. Deshalb beginnen wir mit einem kleinen historischen Rückblick, der Ihnen einen oder zwei Aha-Effekte bescheren könnte.
Grundsätzlich reden wir in Ostdeutschland über zwei Abbaugebiete für Braunkohle.
Das mitteldeutsche Revier.
Hier wird inzwischen nur noch unterhalb von Leipzig und westlich von Halle Kohle abgebaut. In Amsdorf dient die Kohle aufgrund ihres hohen Bitumenanteils der Herstellung von Montanwachs, die Kohle aus den Tagebauen Profen und Vereinigtes Schleenhain wird zur Energiegewinnung eingesetzt.
Tagebau Vereinigtes Schleenhain
Welch krassen Eingriff ein Braunkohletagebau in die Landschaft darstellt, lässt sich auf einem Foto meiner Meinung nach nicht vermitteln. Die Weite, die Ödnis, die Wucht lässt sich nur begreifen, wenn man es mit eigenen Augen sieht.
Um Braunkohle auf diese Weise zu fördern, muss eine gewaltige Wunde in die Erde gerissen werden. Eine riesige Infrastruktur aufgebaut werden – die Tagebaugrube muss trocken gepumpt, ganze Flüsse umgeleitet, Erde muss bewegt, Kohle abgebaut und transportiert werden – gewaltige Energie muss aufgebracht werden, um ein Produkt abzubauen, mit dem Energie erzeugt wird. Es ist ein ungeheurer Aufwand, eine schier unfassbare Ingenieursleistung. Sie sehen mich gleichzeitig fasziniert und fassungslos.
Das zweite Braunkohlerevier liegt in der Lausitz.
Mit den aktiven Tagebauen Jänschwalde, Welzow-Süd, Nochten und Reichwalde. Die drei letztgenannten gruppieren sich um den Ort Spremberg, wo mit Schwarze Pumpe eines der modernsten Braunkohlekraftwerke in Deutschland steht, etwas weiter südöstlich (außerhalb des Kartenauschnitts) befindet sich das Kraftwerk Boxberg.
openstreetmap.de
Vielleicht fallen Ihnen beim Betrachten der Karte die zahlreichen Seen südwestlich der aktiven Tagebaue auf. Hierbei handelt es sich um Bergbaufolgelandschaften – mit Wasser aufgefüllte ehemalige Braunkohletagebaue.
Die Lausitz ist durchlöchert.
Braunkohle war der Energieträger Nummer eins der DDR. Aus einem einfachen Grund: Sie war da. Zwar bekam die DDR auch Öl aus Russland, die Ölkrise der 70er-Jahre führte aber dazu, dass die anfänglichen Preisvergünstigungen ein Ende fanden. [Link] Braunkohle war also das einzige, was verlässlich verfügbar war, was von eigener Hand abgebaut werden konnte. Ein Stück Energieunabhängigkeit.
Dutzende Ortschaften mussten im Laufe der Jahrzehnte dem Braunkohlehunger weichen. Darunter viele Dörfer der in der Lausitz siedelnden sorbischen Minderheit. Mitsprache darüber in der Diktatur nicht möglich, Widerstand gefährlich.
Das Archiv verschwundener Orte macht die Geschichte der zerstörten Dörfer sichtbar: [Link]
archiv-verschwundene-orte.de
Nicht nur Orte verschwanden, ganze Flüsse wurden umgeleitet, die Umweltfolgen: Gigantisch. Von den CO2-Emissionen fangen wir mal besser gar nicht erst an…
Der Braunkohle wurde alles untergeordnet. Und sie brachte Arbeitsplätze, Energie und Wärme. Fernwärmeleitungen durchziehen wie Adern die Landschaft. Am Kraftwerk Boxberg wurde ein Freibad mit der Wärme beheizt. Heute liegt das Becken trocken. Überwuchert. Allenfalls noch ein Picknickplatz.
Was die Identität der Region und ihrer Bewohner:innen prägte, verlor mit der Wende schlagartig seine Bedeutung. Die Tagebaue wie auch die Kraftwerke gingen an die Treuhand, die Jahre brauchte, um die Kohleförderung zu veräußern, deren Wirtschaftlichkeit infrage gestellt wurde. Dieser Spiegel-Artikel gibt ein paar Eindrücke: [Link]
Erst 1994 wurden entsprechende Geschäfte besiegelt.
Mit der LMBV wurde außerdem eine Gesellschaft gegründet, die die Rekultivierung der ehemaligen Tagebaugebiete abwickelt und die Flächen anschließend veräußert.
„In den Jahren nach 1989 wurden in beiden Revieren insgesamt 31 Tagebaue mit 207 Restlöchern stillgesetzt und 43 Veredlungsstandorte mit zusammen 88 Kraftwerken, Brikettfabriken, Schwelereien und Kokereien stillgelegt. Die Gesamtfläche der nicht weiter zu betreibenden, sondern zu sanierenden Areale und Anlagen des Braunkohlenbergbaus betrug über 1.000 Quadratkilometer.“
Über die Rekultivierung und die Finanzierung könnte man auch ganze Seiten füllen – vielleicht in einem der nächsten Newsletter.
Schauen wir lieber in die Gegenwart der genannten Tagebaue.
Im Lausitzer Revier betreibt die LEAG (Lausitz Energie Verwaltungs GmbH) die Tagebaue, bei den Tagbauen bei Leipzig ist es die MIBRAG (Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH). Beide Unternehmen gehören zu einem der größten europäischen Energiekonzerne: Der EPH (Energetický a průmyslový holding a.s.) – ein tschechischer Konzern, der mehrheitlich in Händen eines Mannes liegt:
Daniel Křetínský.
Der Milliardär ist außerdem inzwischen Mehrheitseigner der Royal Mail, vom Fußballclub Sparta Prag und regelmäßig macht er Schlagzeilen damit, dass er Übernahmepläne für weitere Unternehmen äußert. Der Mann ist ein äußerst findiger Geschäftsmann.
Und spätestens ab hier wird’s interessant.
Denn der EPH gehören ja nicht nur die Tagebaue, sondern auch die stromerzeugenden Kraftwerke. Dort, wo das Geld verdient wird. Noch.
Schwarze Pumpe
Für die LEAG sind das: [Quelle]
Jänschwalde (bei Cottbus)
3000 Megawatt installierte Leistung
13,0 Mrd. kWh in 2022 erzeugt
Schwarze Pumpe (bei Spremberg)
1600 Megawatt installierte Leistung
8,6 Mrd kWh in 2022 erzeugt
Boxberg (Boxberg)
2.575 Megawatt installierte Leistung
18,0 Mrd. kWh in 2022 erzeugt
Lippendorf (bei Leipzig) Block R
920 Megawatt installierte Leistung
6,1 Mrd. kWh in 2022 erzeugt
Damit verdient das Unternehmen richtig Geld – solange die Strompreise hoch sind. 2022 hat die LEAG entsprechend tüchtig Gewinn gemacht. [Link]
Das Unternehmen hat jedoch ein „Problem“ – für den aus Braunkohle erzeugten Strom muss es am europäischen Markt CO2-Zertifikate kaufen. Die Berechtigung die Atmosphäre mit CO2 anzureichern. Das macht Kohlestrom teurer und soll ihn so aus dem Markt drängen, so die Grundidee des Emissionshandels.
Der Preis für CO2-Zertifikate lag zuletzt bei um die 90 Euro pro Tonne CO2. In den kommenden Jahren wird er absehbar steigen. Heißt: Kohleverstromung wird sich in den nächsten Jahren immer weniger lohnen.
Es gibt deshalb Fachleute, die sagen, dass es gar nicht notwendig sei, den Kohleausstieg gesetzlich festgelegt vorzuziehen – das würde der Markt regeln. Und ja, angesichts steigender Preise wird es sich voraussichtlich bereits Ende der 20er-Jahre, vielleicht erst Anfang der 30er nicht mehr lohnen, Braunkohle zu verstromen. Gesetzlich sind für die jeweiligen Kraftwerke Enddaten festgelegt, ähnlich wie bereits beim Atomausstieg. So darf etwa Schwarze Pumpe laut aktueller Gesetzeslage bis 2038 laufen, Lippendorf bis 2035.
Kraftwerk Lippendorf
Und jetzt wird’s fies: Denn obwohl Kohlestrom ab Ende der 20er-Jahre unrentabel werden könnte, kann es sein, dass wir ihn weiter brauchen. Den Betreibern von Kohlekraftwerken sogar noch Geld obendrauf geben müssen, damit sie weiter Kohlestrom produzieren.
Denn gelingt es nicht, ausreichend Erneuerbare Energien auszubauen, ausreichend Netzkapazität zur Verfügung zu stellen und ausreichend Regelkraftwerke zu installieren – dann kommen wir ohne den Kohlestrom nicht aus.
Der Kohleausstieg gelingt nur unter technischen Voraussetzungen
Der Ausbau der Erneuerbaren muss stärker vorangetrieben werden, um die Erzeugungskapazitäten der Kraftwerke zu ersetzen. Das ist vor allem für die regionale Wirtschaft wichtig, die Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, mit Strom versorgt zu werden, günstiger grüner Strom wird zu einem Standortvorteil. Sachsen allerdings hinkt etwa beim Windkraft-Ausbau deutlich hinterher. In Brandenburg hingegen sieht das wesentlich besser aus.
Erneuerbare Energien auf einer Braunkohleabraumhalde in Klettwitz, Sachsen
Ein Problem beim Ausbau der Erneuerbaren: Im Gegensatz zu großen Kraftwerken, bei denen die Erzeugungsleistung klar gesteuert werden kann, kann niemand den Wind aufdrehen, um mehr Strom zu produzieren. Wenn Flaute ist, gibt es keinen Windstrom.
Heißt: Auch eine dezentrale Stromproduktion mit Wind und Sonne braucht ein Backup. Diese Aufgabe sollen künftig Gaskraftwerke erfüllen. Mittel- bis langfristig, so der Plan, sollen diese mit Wasserstoff betrieben werden, weshalb Wirtschaftsminister Robert Habeck neuerdings lieber von „Molekülkraftwerken“ spricht, klingt klimafreundlicher und weniger importabhängig. Derzeit reden wir aber eben von Erdgas, das zur Stromproduktion eingesetzt wird. Zuletzt sprach Habeck von einer Kapazität von 20 Gigawatt, die zusätzlich noch gebraucht werden. Näheres soll eine Kraftwerksstrategie aufdröseln, die vor dem Sommer veröffentlicht werden soll.
Bei einer Veranstaltung des Wirtschaftsministeriums zur Zukunft des klimaneutralen Stromsystems erklärte kürzlich ein Vertreter von Siemens, dass reine Wasserstoffkraftwerke technisch noch nicht möglich seien. Mal ganz davon abgesehen, dass wir bislang keine Wasserstoffproduktion im angemessenen Maßstab besitzen, geschweige denn Importkapazitäten oder ein Leitungssystem, das diesen Wasserstoff von a nach b bringt. Hätte man sich nicht auf spottbilliges Erdgas aus Russland verlassen, hätte man hier schonmal was machen können.
Hat man aber nicht.
In Spremberg, in direkter Nachbarschaft zu Schwarze Pumpe wird jetzt mit Fördermitteln des Bundes ein Referenzkraftwerk gebaut, das zukunftsweisend sein könnte.
Modell des Reflau
Das Referenzkraftwerk Lausitz soll als Regelkraftwerk fungieren können. Wenn “zu viel” Strom im Netz ist, etwa weil gerade alle Windräder von einem Lüftchen angetrieben werden, soll das Kraftwerk diesen abnehmen und sowohl in Batterien speichern, als auch zur Elektrolyse und damit Wasserstoffherstellung nutzen können. Bei “zu wenig” Strom im Netz soll das Kraftwerk die gespeicherte Energie abgeben können oder durch die Nutzung des Wasserstoffs neuen Strom erzeugen können. Das alles ist noch Zukunftsmusik, es geht jetzt in die Umsetzung des Projektes, es kommt also für eine schnelle Energiewende alles ein bisschen arg spät.
Dennoch: Ingenieur:innenkunst next level, aber hallo. Könnte geil werden.
Flexible, regelbare Kraftwerke sind nicht nur wichtig für die Erzeugung von Strom, sondern auch für die Stabilität des Netzes. Das eben nicht auf große Schwankungen ausgelegt ist, sondern eine konstante Frequenz braucht.
Genügend Produktionskapazität, ausreichender Netzausbau und Kapazitäten zur Netzstabilisierung. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, können die Braunkohlekraftwerke vom Netz gehen. Selbst wenn die Betreiber vorher bei der Bundesnetzagentur anklopfen und um Stilllegung bitten, weil ihr Kohlestrom unrentabel geworden ist - die Bundesnetzagentur kann nur zustimmen, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Sonst wird dort traurig mit dem Kopf geschüttelt und wir müssen letztlich Steuergeld einsetzen, um das unrentable, klimaschädliche Geschäftsmodell zwingend weiter am Netz zu halten. Horrorvorstellung.
Wer den Kohleausstieg will, muss die Voraussetzungen dafür schaffen.
Ansonsten droht nämlich eine ähnliche Situation wie beim Atomausstieg. Kurz bevor er vollzogen wird, stellen wir fest, dass ein bisschen länger laufen wirtschaftspolitisch grad doch ganz opportun wäre, weil es leider verpasst wurde, eine vorausschauende Energiepolitik zu betreiben. Wer aussteigt muss in etwas anderes einsteigen, man könnte aus den gemachten Fehlern lernen.
Dass die Zukunft eher in den Erneuerbaren liegt, hat inzwischen auch die EPH erkannt. Die LEAG hat mit Thorsten Kramer einen neuen CEO bekommen, der das Unternehmen klar neu aufstellen soll. Gaskraftwerke will man bauen, um auf diese Weise die Braunkohlekraftwerksstandorte erhalten zu können. Bergbaufolgeflächen sollen für den Ausbau Erneuerbarer Energien genutzt werden. Von einem vorgezogenen Braunkohleausstieg will Kramer bislang allerdings offiziell nichts wissen. Fragt man ihn nach den Auswirkungen der Zertifikatspreise auf die Rentabilität von Kohlestrom, wiegelt er ab. So kürzlich geschehen bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Hier noch ein Foto von der Anfahrt auf Schwarze Pumpe, um die Textwüste aufzulockern
Offizielle Verhandlungen über einen vorgezogenen Kohleausstieg gibt es bislang nicht.
Wohl aber viele informelle Gespräche – der Besuch von Habeck dürfte zu einem solchen Gespräch geführt haben. Dabei geht es auch darum, auszuloten, was die LEAG im Gegenzug haben möchte. RWE bekam für den vorgezogenen Kohleausstieg im rheinischen Revier die Verlängerung der Laufzeit für zwei Kraftwerksblöcke bis 2024 – und die Kohle unter Lützerath als Brennmaterial dafür.
Die LEAG lässt sich öffentlich noch nicht in die Karten gucken. Von einem Pipelinenetz für Wasserstoff ist die Rede, wenn es um die Gaskraftwerke geht. Auch die Frage der Kosten für die Rekultivierung dürfte eine Rolle spielen. Noch immer sind auch die Entschädigungszahlungen, die die Energiekonzerne für den Kohleausstieg 2038 bekommen sollen, nicht von der EU-Kommission abgesegnet. Und der Hauptakteur hinter der EPH ein Mann, der mit seinen Investments Geld verdienen will - oder sie im Zweifelsfall halt abstößt. Das zumindest eine politisch immer mitschwingende Angst, weil die Sorge um die Arbeitsplätze groß ist. Es ist eine Jonglage, bei der viele Bälle gleichzeitig in der Luft sind.
Und das sind noch längst nicht alle Akteure.
Viele Menschen in der Region wollen den Kohleausstieg nicht, schon das Datum 2038 ist ihnen ein Dorn im Auge, aber vielleicht noch weit genug weg, um sich später darüber zu ärgern. Dass jetzt ausgerechnet ein grüner Wirtschaftsminister, Wessi noch dazu, ihnen die Kohle eher wegnehmen will, kommt wenig gut an. Im kommenden Jahr sind Landtagswahlen in Sachsen. Die AfD könnte stärkste Kraft werden.
wahlen.sachsen.de
So sah es noch 2019 bei der Landtagswahl aus. Bei der Bundestagswahl 2021 wurde die AfD stärkste Kraft in Sachsen und holte fast alle Direktmandate im ländlichen Raum. Auch in den Landkreisen Görlitz und Bautzen, also dem Lausitz-Revier.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lehnte es lange vollständig ab, den Kohleausstieg vorzuziehen. Wie auch die MPs aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Wobei es auf die Nuancen ankommt. Rainer Haseloff, CDU-Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt, gab sich zuletzt als deutlicher Freund der Erneuerbaren Energien zu erkennen, will den Ausbau auch in seinem Bundesland deutlich stärker vorantreiben – ein aus meiner Sicht erkennbares Umdenken. Brandenburg steht diesbezüglich auch bereits deutlich besser da. Und Kretschmer?
Kürzlich ließ er bei einer Veranstaltung durchblicken, dass er einen vorgezogenen Ausstieg nicht vollständig ausschließe [Link] - Inwieweit sich da tatsächlich ein Positionswechsel andeutet oder diese Äußerung lediglich ein Test war – noch unklar.
Natürlich spielen hierbei auch die Mittel zur Strukturförderung eine Rolle, die der Bund den Kohleländern zukommen lässt. Politik ist immer auch ein großes Pokerspiel.
Gelingt in diesem Jahr keine Einigung in dieser Sache mehr, so wird der Kohleausstieg absehbar zum Thema des Wahlkampfes 2024.
Was die Fronten massiv verhärten dürfte.
Für die Grünen ist die Argumentation schwieriger geworden – natürlich stimmt das Argument, dass wir aus der Kohle aussteigen müssen, um das Klima zu schützen, um das Klimaziel der Begrenzung auf 1,5-Grad-Erderhitzung zu erreichen. Dieses Argument hat aber an Schlagkraft verloren, weil in der Energiekrise Kohlekraftwerke hochgefahren, die Atomkraftwerke aber abgeschaltet wurden. Wenn Klimaschutz immer nur dann als Argument gilt, wenn es gerade passt, fragen sich die Betroffenen, warum es in ihrem Fall gerade passt, in anderen Fällen aber nicht. Das gilt noch mehr, wenn sich die Menschen ohnehin benachteiligt fühlen.
Der Protest der Klimaaktivist:innen, wie er für den 7. Mai im Ort Mühlrose am Tagebau Nochten angekündigt ist, wird vor Ort auch kritisch beäugt.
openstreetmap.de
Mühlrose könnte der letzte Ort sein, der von einem Braunkohletagebau geschluckt wird. Unter anderem die Fridays for future wollen das verhindern.
Eine Untersuchung im Auftrag des DIW kam jetzt zu dem Ergebnis, dass nicht einmal ein Ausstieg 2030 ausreicht, um das Pariser Klimaziel (Erderhitzung 1,5 Grad) zu erreichen. [Link]
Doch in Mühlrose gab es bereits im Vorfeld der Demo Protest gegen die Protestierenden. Eine Menschenkette gegen das geplante Klimacamp. Die Menschen vor Ort wollen sich nicht sagen lassen, was richtig ist. Sie wollen sich nicht vorschreiben lassen, was mit ihrer Heimat passiert. Selbst dann nicht, wenn diese Heimat abgebaggert werden soll. [Link]
Es mag absurd klingen, aber die Braunkohle ist eben noch immer tief in der Identität der Region verankert. Plus: Die Vorstellung, dass mal wieder ein paar Wessis sagen wo es lang geht, dürfte auch vielen stinken. Die Erfahrungen der Wende- und Nachwendezeit darf man in der Frage eben auch nicht vergessen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das Thema von extremistischen Kreisen, die vor Ort ja bereits einflussreich sind, genutzt wird, um Fronten aufzubauen. Die gegen uns, wir gegen die. Wenn jetzt also wie in Lützerath aus ganz Deutschland die Aktivist:innen anreisen, dürfte das die Situation nicht unbedingt entspannen.
Mühlrose ist nicht Lützerath. Aber sowas von überhaupt nicht.
Und nun noch die Prise Salz.
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Bis zum nächsten Mal!
Frau Büüsker