Kein Kohleausstieg 2030
Ausgabe 21 – Warum die Bundesregierung den Kohleausstieg nicht gesetzlich vorzieht
Moin!
Robert Habeck hat kürzlich den vorgezogenen Kohleausstieg 2030 abgesagt. Jedenfalls wird er politisch nicht verordnet. „Eine gesetzliche Regelung ist nicht vorgesehen“, so hat es der grüne Wirtschaftsminister am 4. Juni verkündet, am Rande einer Pressekonferenz, in der es um die Braunkohleausstiegsentschädigungen für die LEAG ging, den Kraftwerksbetreiber in Ostdeutschland. Damit ist das Wörtchen „idealerweise“ aus dem Koalitionsvertrag pulverisiert. Zumindest politisch.
Das Wirtschaftsministerium hofft jetzt, dass der Markt es regelt.
Warum das nicht gänzlich unwahrscheinlich ist, aber trotzdem heikel, darum geht es in dieser Ausgabe.
Schön, dass Sie dabei sind!
(Alte Förderbrücke bei Leipzig)
Erinnern Sie sich an Lützerath?
Symbol der deutschen Klimabewegung, die den Weiler zur Marke für das Begrenzen der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius erklärt hatte. Bis hierhin und nicht weiter, sonst ist das Pariser Klimaziel nicht zu halten.
Lützerath ist fort.
Der Boden abgebaggert und auf der großen Förderbrücke davon getragen.
Symbolisch, jawohl.
Lützerath wurde beim Energiekonzern RWE für die Bereitschaft eingetauscht, bereits eher als ursprünglich vereinbart aus der Braunkohleverstromung auszusteigen – nämlich 2030 statt 2038.
2038, wir erinnern uns noch einmal kurz – das war das Datum, welches die Kohlekommission erarbeitet hat [Link], welches dann von der Politik in ein Braunkohleausstiegsgesetz gegossen wurde. Für die einzelnen Kraftwerke sind konkrete Ausstiegsdaten festgelegt, mit den Betreibern (RWE & LEAG) wurden Entschädigungszahlungen vereinbart.
Das Problem: Das Ausstiegsdatum 2038 ist nicht mit den deutschen Klimazielen vereinbar. Es würde schlicht zu viel CO2 ausgestoßen werden.
Deshalb wollten insbesondere die Grünen den gesetzlichen Ausstieg gerne gesamtdeutsch auf 2030 vorziehen. Im Koalitionsvertrag der Ampel vereinbarten die Partner:
„Schritt für Schritt beenden wir das fossile Zeitalter, auch, indem wir den Kohleausstieg idealerweise auf 2030 vorziehen.“
Dieses gemeinsame Verabredung ist hinfällig, es werden keine weiteren Anstrengungen unternommen, um eine gesetzliche Regelung zu finden, um den Kohleausstieg auch in den ostdeutschen Revieren vorzuziehen*. So hieß es erstmals Anfang Juni aus dem Wirtschaftsministerium. Erst in einem Pressepapier, dann auch am Rande einer Pressekonferenz.
Im Grunde war das schon länger die Linie von Wirtschaftsminister Robert Habeck, aber so offen kommuniziert wurde diese vorher nicht.
Warum das Ganze?
Weil es keine mehrheitliche Zustimmung für einen früheren Ausstieg gibt.
Weder die Landesregierungen der betroffenen Bundesländer wollten das – Sachsen, Sachsen-Anhalt & Brandenburg. Das ist ein entscheidender Unterschied zum Kohleausstieg in NRW. Aber auch der Kraftwerksbetreiber LEAG wollte nicht so richtig mitmachen, ebensowenig die Koalitionspartner in Berlin.
Das grün geführte Wirtschaftsministerium hofft jedoch trotzdem darauf, dass es zu einem Kohleausstieg vor 2038 kommen wird – der Markt soll es regeln.
Achtung, wir tauchen kurz in die grundsätzliche Funktionsweise europäischer Klimapolitik ein, bitte bleiben Sie bei mir, ich mache es so kurz wie möglich.
Kohleverstromung unterliegt dem europäischen Emissionshandel, das heißt, für das bei der Verbrennung von Braunkohle entstehende CO2 müssen im europäischen Handelssystem Zertifikate gekauft werden. Verschmutzungsberechtigungen.
Kohlestrom wird dadurch teurer – das ist ein Grund, warum immer weniger davon verstromt wird. Es gibt inzwischen einfach günstigere Alternativen, durch die Erneuerbaren. Und im Zweifelsfall ist es oft billiger, Strom bei Bedarf aus dem europäischen Ausland zu importieren, als ihn mit Kohle herzustellen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Noch geht es nicht ohne Braunkohle.
Strommix in Q1 2024, Smard: [Link]
Die Zahl dieser Zertifikate wurde für die kommenden Jahre deutlich verknappt – im Rahmen des Fit for 55-Programms, also der Klimapolitik der letzten EU-Kommission. Hier wurde politisch entschieden: Die Klimapolitik der EU soll ambitionierter werden, also gibt es weniger CO2-Verschmutzungsrechte, also wird fossile Stromerzeugung teurer. [Link]
Die Hoffnung des Wirtschaftsministeriums ist nun, dass sich Kohleverstromung unter diesen Voraussetzungen einfach bald schon nicht mehr lohnt. Die teurer werdenden Verschmutzungsrechte sollen dafür sorgen, dass die Kraftwerke immer weniger laufen, bis die Betreiber entscheiden, ok, danke, reicht uns, lohnt nicht mehr. Und tatsächlich gibt es verschiedene Berechnungen, die genau davon ausgehen.
Es gibt aber zwei große Abers.
Das System des Emissionshandels ist eine politische Entscheidung, es kann folglich verändert werden. So wie die EU entschieden hatte, ihre Klimapolitik ambitionierter zu gestalten & Zertifikate zu verknappen, könnte eine EU, der Klimapolitik wurscht ist, Dinge auch wieder umkrempeln. Wohl nicht vollständig, aber teilweise.
Versuche dazu gab es bereits – 2022 hatte Polen im Zuge der Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine versucht durchzusetzen, dass der Emissionshandel ausgesetzt wird. Die Krise als Hebel, die Klimapolitik auf Pause zu stellen. [Link]
Wissend, dass im Europaparlament seit der letzten Wahl deutlich mehr konservative Abgeordnete sitzen, die angekündigt haben, Industriepolitik vor Klimapolitik stellen zu wollen, kann man hier zumindest nachdenklich werden.
Das zweite Aber:
Ein solcher Kohleausstieg kann nur dann gelingen, wenn die Stromversorgung und die Netzstabilität gewährleistet sind. Ich hatte die Gemengelage vor etwas mehr als einem Jahr schonmal augedröselt. [Link]
Seitdem ist der Ausbau der Erneuerbaren sehr gut vorangekommen, aber Wind und Sonne allein werden die Stromversorgung nicht sichern. Es braucht auch flexible, verlässliche Kapazitäten. Der Bau von Erdgaskraftwerken kommt bisher aber kaum voran. Zwar gibt es Eckpunkte einer Kraftwerkstrategie, Ausschreibungen sollen im Herbst folgen, aber bisher ist das alles wolkig.
Na hoppla.
Wenn aber nicht gewährleistet ist, dass alternative Kraftwerkskapazitäten zur Verfügung stehen, wird die Bundesnetzagentur sagen müssen: Nixda, die Kohle bleibt am Netz. Für die bereitgestellten Kapazitäten wird der Staat dann zahlen müssen. Geld der Steuerzahler:innen. Dies könnte übrigens auch im westdeutschen Revier drohen, der WDR hatte das kürzlich zusammengefasst: [Link]
Also, idealerweise kommt der Kohleausstieg 2030 oder kurz danach. Aber bis dahin müssten noch eine ganze Menge Weichen gestellt werden. Wäre daher ganz gut, wenn das Thema im Bewusstsein bliebe, auch wenn Lützerath nicht mehr ist.
Bald könnte in Deutschland das allerletzte Dorf einem Braunkohletagebau weichen müssen. Das Dorf Mühlrose in Sachsen soll vom Tagebau Nochten aufgefressen werden. [Link] Anders als Lützerath dürfte Mühlrose allerdings wenig als Symbol für die Klimabewegung dienen.
Kurz notiert:
Im November findet die nächste Klimakonferenz in Baku statt. Schon jetzt gibt es Berichte über erste Repressalien – mehrere Journalist:innen und Aktivist:innen wurden bereits verhaftet. [Link]
Erneut findet die Klimakonferenz in einem unfreien Land statt, was natürlich völlig zurecht Kopfschütteln verursacht. Nur – Aserbaidschan ist halt Mitglied der Vereinten Nationen und deshalb ganz grundsätzlich austragungsberechtigt. Zudem muss man sich vor Augen führen: Der Austragungsort rotiert – 2024 ist der postsowjetische Raum dran und Russland hat hier die Standortsuche schwierig gemacht. [Link]
Am Ende blieb Aserbaidschan - und zerknirschte Gesichter. Befeuert natürlich weitere Fragen danach, ob so ein Weltklimagipfel überhaupt noch zeitgemäß ist. Alle fliegen hin, dann nicht selten in autokratische Staaten, am Rande werden fossile Deals geschlossen, das Ergebnis ist meist eher dürftig. Aber was wäre die Alternative? Keine Weltklimakonferenzen? Hm.
Die jetzt eher unerfolgreich zu Ende gegangene Zwischenkonferenz in Bonn, auf der Vorarbeit geleistet wurde, hat übrigens schon gezeigt, dass es inhaltlich haarig werden dürfte. [Link]
Der Bundeslandwirtschaftsminister – Cem Özdemir, grünes Parteibuch – hat sich diese Woche im Deutschen Bundestag dafür gelobt, eine Naturschutzregelung abgeschafft zu haben.
”GLÖZ 8” war eine Regelung im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik. Kurz gesagt: Wer Geld will, muss Voraussetzungen erfüllen, die der Natur dienen. Im Fall von GLÖZ 8 hieß das: 4 Prozent der Anbaufläche für einen bestimmten Zeitraum stilllegen. Nicht bewirtschaften. Nix ernten. Hier, Natur, mach damit was du willst, quasi. “Brache” ist der landwirtschaftliche Begriff dafür.
Das Ganze war eine EU-Vorgabe, die 2023 das erste Mal gegolten hätte - wie wurde dann aber ausgesetzt. Zunächst wegen des Krieges in der Ukraine, anschließend wegen der Bauernproteste– nicht, dass alle Bauern das zwingend gefordert hätten, aber die großen konservativen Verbände waren scharf drauf.
Deutschland macht bei dieser Aussetzung mit – und genau dafür feiert sich jetzt der grüne Minister. Ja, immerhin, in Deutschland kann man es freiwillig machen & dafür Geld bekommen, aber natürlich machen es dadurch wesentlich weniger Betriebe, als wenn es Pflicht wäre. Für die Betriebe steht so mehr Anbaufläche zur Verfügung – ja. Aber ohnehin so spät im Jahr, dass der Nutzen so lala ausfallen dürfte. Für die Artenvielfalt bleibt so definitiv weniger Platz.
Derweil versuchen gerade einige Bundesländer, unter anderem Baden-Württemberg, den Einsatz von Glyphosat auch in Wasserschutzgebieten zu ermöglichen. Deutschland muss die entsprechende Verordnung ändern, weil die EU-Kommission im Alleingang die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat beschlossen hat - auch eine Reaktion auf die Bauernproteste - und in diesem Zusammenhang versuchen BaWü & andere über die Ausschussempfehlung die Einsatzmöglichkeiten in Deutschland noch zu erweitern. Unterstreicht noch einmal unter welchem Druck Naturschutz derzeit steht. Moment, wer regiert nochmal in Baden-Württemberg?
China flutet den europäischen Markt gerade nicht nur mit E-Autos, sondern auch mit Solarmodulen. Wovon die deutsche Energiewende massiv profitiert – weil die Module so billig sind. Gleichzeitig zerstört es die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie. Und zunehmend werden die niedrigen Preise auch zu einem Problem für die chinesischen Hersteller selbst. [Link]
Mehr über die chinesischen Überkapazitäten, die Auswirkungen auf die deutschen Hersteller und wie die EU das Problem lesen möchte gibt es im “Hintergrund” von meinem Kollegen Steffen Wurzel & mir: [Link]
Soweit der üüberblick - danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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Frau Büüsker
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