Endlagersuche
Ausgabe 10 - Wie der Betriebsrat eines Eisenerzbergwerks wichtige Weichen für ein deutsches Atommüllendlager stellte. Und warum Geld zur Finanzierung in einem russischen Ölriesen steckt.
Moin!
Kurz bevor die deutschen Atommeiler runterfahren müssen, kloppen sich in Berlin die politischen Parteien die Bekenntnisse pro Atomkraft/Atomausstieg um die Ohren. Nicht, dass es an der Gesetzeslage kurzfristig etwas ändern würde - entsprechend ist am Samstag Schluss für die noch laufenden Atommeiler. Zeit also vorauszublicken. Zum Beispiel auf die Frage, wie wir das mit dem Atommüll jetzt eigentlich machen. Unter die Erde soll er, aber wohin? Gestellt wurde diese Frage im Laufe der letzten Jahrzehnte oft - der Versuch ihrer Beantwortung war aber oft eher, naja, hanebüchen. In dieser Ausgabe soll es auch darum gehen, welche Kriterien früher eine Rolle gespielt haben - und was heute anders ist. So viel vorweg: Früher war definitiv nicht alles besser.
Schön, dass Sie dabei sind!
Deutschland hat sich also entschieden (vorerst) aus der Kernenergie auszusteigen. Am 15.04. ist Schluss – dann müssen die drei noch laufenden Meiler runterfahren, ihr Betrieb wird ab Sonntag illegal.
Und dann?
Richtet sich der Fokus auf zwei große Aufgaben. Zum einen: Rückbau.
Wie der funktioniert, hat mein Deutschlandradio-Kollege Axel Schröder am Beispiel Brunsbüttel erzählt. [Link]
Die größte Aufgabe der deutschen Atompolitik wird aber die Frage:
Wohin mit dem Müll?
Der deutsche Plan ist, Atommüll in Endlagern zu deponieren. Tief unter der Erde soll er sein, sicher für mehrere Generationen. So zumindest die Idee.
Aber Moment, kann man Atommüll nicht dazu nutzen, weiter Energie zu produzieren…?
Sie meinen wahrscheinlich die sogenannte Transmutation, wo durch bestimmte Verfahren die Strahlung von hochradioaktiven Abfällen gesenkt und im besten Fall sogar in Reaktoren zur Stromerzeugung genutzt werden kann.
Geile Idee – funktioniert allerdings bisher eher bedingt, will sagen: Im Labor. [Link]
Ähnlich bei der Kernfusion - auch da ist eine marktfähige Umsetzung bislang weit entfernt. Grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sich da irgendwie irgendwann etwas tut – aber politisch ist der Ansatz in Deutschland eben derzeit, lieber den Spatz in der Hand zu haben, als die Taube auf dem Dach. Deshalb soll der Müll unter die Erde.
Unterschieden wird dabei zwischen zwei Arten radioaktiver Abfälle:
Schwach- und mittelradioaktive Abfälle.
Hochradioaktive Abfälle.
Die erste Kategorie sind Abfälle, die keine bzw. kaum eigene Wärme entwickeln. Wir reden hier zum Teil über Bauschutt aus zurückgebauten Meilern, über Schutzkleidung etc. Dieser Müll macht mengentechnisch den größten Batzen aus (95 Prozent), hat aber den kleinsten Anteil Strahlung (1 Prozent). [Quelle]
Und dann ist da der hochradioaktive Abfall.
Zum Beispiel ausgebrannte Brennstäbe. Material, das mengentechnisch nicht so viel ist, aber 99% der Strahlung ausmacht und noch Wärme entwickelt. Dieses Material wird entsprechend eingetuppert: In Castor-Behältern.
27.000 Kubikmeter hochradioktiver Müll, eingeschlossen in 1900 Behältern, die über ganz Deutschland verteilt sind. Auf 16 Zwischenlager. [Link] Hier wird der hochradioaktive Müll übergangsweise oberirdisch aufbewahrt.
Dieses Zeug will niemand wirklich bei sich haben. Atomkraft, ja bitte, aber Endlager, nein danke - das war lange die Devise, an der sich wenig geändert hat. Um dennoch ein Endlager zu finden, gibt es inzwischen einen strukturierten Prozess, der mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird und irgendwann Ende des Jahrhunderts können wir das Zeug unter die Erde bringen. Politiker:innen von heute müssen dafür keine Verantwortung übernehmen. Wohl auch deshalb sind Forderungen nach einem weiter so so einfach.
Bevor wir uns aber in diesen strukturierten Prozess werfen, möchte ich Ihnen einmal den wilden Westen vorstellen, der in der Endlagerfrage bisher herrschte. Dazu gucken wir erstmal auf Müllkategorie 1: Den schwach- bis mittelradioaktiven Abfall.
Ein bisschen was davon ist schon unter der Erde. In Morsleben, Sachsen-Anhalt.
Einst Salzbergwerk, dann Hühnermastanlage (ja, kein Scherz), dann Giftmülldeponie, dann Lagerstätte für Atommüll.
Screenshot via openstreetmap.de
Die grün gestrichelte Linie ist die Landesgrenze zu Niedersachsen und damit die ehemalige Grenze zur BRD. Denn das Atommülllager Morsleben wurde zu DDR-Zeiten eingerichtet, in den 80ern wurde hier dann Müll eingelagert. Nach der Wende kam auch Westmüll dazu.
Erste Erkundungsmaßnahmen zwecks Atommüllagerung fanden Anfang der 70er Jahre statt. Und die Entscheidung der DDR-Führung dieses Lager nahe der Grenze zu errichten, könnte die weitere Endlagersuche Deutschlands maßgeblich mit geprägt haben. Denn als die Bundesrepublik in den 70ern einen Platz für ein Endlager für hochradioaktive Stoffe suchte, fiel die Entscheidung auf Gorleben. Ein Standort, der nach geologischen Kriterien erstmal nicht ganz weit oben auf der Liste stand.
Screenshot via openstreetmap.de
Der aber ebenfalls nahe der Grenze zur DDR lag (hier: Die Elbe). Ein deutliches Stück nördlich von Morsleben.
Der Geologe Gerd Lüttig, der damals in den Auswahlprozess mit einbezogen war, erinnert sich in der TAZ wie folgt an die Beweggründe des damaligen CDU-Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Ernst Albrecht:
„Nach Angaben des Geologen Gerd Lüttig stellte der CDU-Politiker dabei die Wahl Gorlebens als Retourkutsche für das ebenfalls direkt an der Grenze gelegene DDR-Endlager Morsleben dar. Albrecht habe sinngemäß gesagt: "Die ärgern uns doch mit Morsleben, ich gehe in Gorleben auch an die Zonengrenze, und da werden sich die in der Ostzone richtig ärgern", erinnert sich der 83-jährige Lüttig.“
Auch der Tagesspiegel berichtet darüber. [Link]
Kann so gewesen sein, muss aber nicht. Denn Grenznähe barg ja auch gewisse Risiken. Was auch immer die Beweggründe für die Entscheidung waren, sie war wegweisend. Zunächst. Über Jahrzehnte hinweg wurde in den Standort Gorleben investiert, geforscht, dort befindet sich ein Zwischenlager. Bis 2020 dann klar wurde: Gorleben taugt nicht. Der wissenschaftlich aufgestellte Suchprozess kam zu dem Schluss, dass Gorleben nicht in den Bereich der möglichen Endlagerteilgebiete fällt. Hier wird also kein Endlager entstehen. [Link] Alle Bemühungen für die Katz, Gelder den Stollen runtergekippt.
Bevor wir jetzt ausführlich auf den Suchprozess schauen, der zu diesem Ergebnis führte, will ich kurz noch den Blick auf ein weiteres eher skurriles Auswahlverfahren lenken. Eines, das aber zum Erfolg führen könnte – und in dem ersten nach Atomgesetz genehmigten Endlager für schwach- und mittelradioaktive Atomabfälle münden könnte. Dem Endlager Schacht Konrad.
Screenshot via openstreetmap.de
Auch wieder gar nicht so weit weg von Morsleben, am Rande von Salzgitter.
Dieses geplante Endlager entsteht in einem ehemaligen Eisenerzbergwerk der Salzgitter AG. Seit vielen Jahren wird hier gebaut, 2027 soll theoretisch eröffnet werden – ein Termin, an den die Bergleute, mit denen ich letztes Jahr gesprochen habe, ein großes Fragezeichen machen würden. Hier soll schwach bis mittelradioaktiver Müll auf etwa 1000 m Tiefe in die Eisenerzschicht eingelagert werden. 2019 veranschlagte des Umweltministerium noch Gesamtkosten von 4,2 Milliarden Euro für das Endlager – angesichts gestiegener Materialpreise dürfte diese Summe, deren Hauptlast die Verursacher des Mülls zahlen, deutlich gestiegen sein. [Link]
Wieso nun also Atommüll in einem ehemaligen Eisenerzbergwerk?
Nun, das Bergwerk entstand in den 50ern, verlor bereits in den 70er Jahren aber seine Rentabilität, sodass der Schacht nach nicht einmal 20 Jahren Abbauzeit geschlossen werden sollte. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte der 70er Jahre, lief in Deutschland aber auch die Debatte über die Frage atomarer Endlager – 1977 fiel die Entscheidung für Gorleben. Und so brachte der Betriebsrat der Salzgitter AG die Idee auf: Mensch, unser Bergwerk könnte doch auch ein Endlager werden! [Link]
Diverse Erkundungsprozesse, politische Streitigkeiten und rechtliche Genehmigungsverfahren später wurde inzwischen bergeweise Beton in den Schacht heruntergebracht, neue Stollen gegraben und so die Infrastruktur für ein Endlager errichtet – und die niedersächsische Landesregierung mit einem grünen Umweltminister wird sich nun dazu verhalten müssen, ob das Endlager final genehmigt wird oder nicht.
Es könne und dürfe nur ein Endlager an den Start gehen, das dem neusten Stand von Wissenschaft und Technik entspreche, so Minister Christian Meyer kürzlich bei einem Besuch. Tja. Hm. [Link]
Schacht Konrad könnte das erste nach Atomgesetz genehmigte Endlager in Deutschland werden. Eine Sorge vieler Anwohner:innen: Wenn Schacht Konrad erstmal genehmigt ist, könnte es noch erweitert werden. Etwa auch, um den Müll aus der Asse aufzunehmen. Dort wurden in den 60ern und 70ern fässerweise schwach- und mittelradioaktive Materialien in einem Salzstock eingelagert, dessen Tauglichkeit Fachleute und Bürger:innen von vorneherein bezweifelt hatten. Heute ist klar: Die Asse ist vollkommen ungeeignet, es dringt Wasser ein, der Müll muss bis 2033 wieder raus da, Kosten geschätzt; 4,7 Milliarden Euro. [Link]
Weil dieser Müll nicht in Schacht Konrad soll, es aber kein anderes Endlager gibt, wird für diese Stoffe zunächst ein oberirdisches Zwischenlager gebaut.
Screenshot via openstreetmap.de
Auch hier wird Ihnen auffallen - mensch, da ist ja schon wieder dieses Helmstedt, es ist also auch gar nicht so weit von Morsleben. Ja, die Endlagerversuche konzentrieren sich bisher auf Südniedersachsen/Sachsen-Anhalt.
Zusammenfassend kann man sagen: Die Auswahlprozesse der letzten Jahrzehnte waren ziemlich wild und selten von Fachfragen geleitet. Das ist inzwischen deutlich anders.
Für die Suche nach einem Endlager gibt es inzwischen eine klare gesetzliche Grundlage: Das Standortauswahlgesetz. [Link]
Ziel ist es, auf der Basis wissenschaftlicher Kriterien und unter angemessener Beteiligung der Öffentlichkeit, geeignete Standorte ausfindig zu machen, über die am Ende der deutsche Bundestag entscheiden wird – sodass das Verfahren demokratisch legitimiert ist.
Das entsprechende umfangreiche Verfahren wurde in drei Schritte aufgeteilt. Eine wichtige erste Etappe wurde bereits 2020 geschafft – die Veröffentlichung eines Zwischenberichts zu möglichen Teilgebiete. Weniger bürokratisch formuliert ging es um die Frage: Wo befindet sich in Deutschland Gestein, das für die Errichtung eines Endlagers in Frage käme? Denn auch das ist ja neu: Man geht nicht in vorhandene Bergwerke, der Atommüll kriegt was eigenes.
Die Karte weist Regionen mit Ton, Salz oder kristallinem Wirtsgestein aus – in diesen drei Varianten wäre eine Endlagerung denkbar. Die Schweiz hat sich bei ihrer Wahl eines Endlagerstandorts gerade für Ton entschieden: Sogenannten Opalinuston.
Die Karte hat damals zu mächtig Verwirrung geführt – hä, wie, es könnte ein Endlager unter Hannover geben? Neee, natürlich nicht. Es folgen in den nächsten Schritten weitere Erkundungen. Was ist in den Regionen über Tage los – zum Beispiel Wohnbebauung oder ähnliches. Dann wird unter Tage erkundet – auch um mögliche Störungen im Gestein zu identifizieren. Es ist noch ein ziemlich weiter Weg. Am Ende sollen zwei Vorschläge stehen, dann kommt die politische Entscheidung.
Laut Standortauswahlgesetz war eine Entscheidung des Bundestages eigentlich für 2031 vorgesehen. Ende 2022 haben die zuständigen Behörden aber deutlich gemacht: Das wird nichts, sie brauchen mehr Zeit. Eine Entscheidung könnte nun in den 2040er-Jahren fallen. [Link]
Der politischen Entscheidung würden dann Planung und Genehmigung folgen, anschließend der Bau.
Das dauert also noch ein Weilchen.
Derweil steht der hochradioaktive Atommüll weiter in den Zwischenlagern. Die dortige Lagerung in den Castor-Behältern ist im Jahr 2000 begrenzt genehmigt worden: Auf 40 Jahre. Dies ist auch eine Frage der Haltbarkeit der Behälter. [Link]
2040 wird aber sehr absehbar noch kein Endlager stehen, in welches der Müll gebracht werden kann. Notieren Sie sich im politischen Kalender also schon mal interessante Diskussionen für Ende der 30er-Jahre.
Für die Finanzierung der Endlagerfragen haben die Betreiber der Kraftwerke übrigens Geld in eine öffentlich-rechtliche Stiftung eingezahlt. Es bleibt also nicht alles an den Steuerzahler:innen hängen.
„Der KENFO ist mit rund 24 Mrd. Euro verwalteten Geldern die größte öffentlich-rechtliche Stiftung Deutschlands. Da er mit einer einmaligen Zahlung gegründet wurde und das Entsorgungsfondsgesetz keine weiteren Zuflüsse in das Fondsvermögen vorsieht, handelt es sich um eine Verbrauchsstiftung. Für die Kosten der sicheren Zwischen- und Endlagerung wird dem Bund derzeit jährlich ein dreistelliger Millionenbetrag erstattet. Die Stiftung ist personell effizient aufgestellt und beschäftigt neben ihren drei Vorständen ein hochmotiviertes Team von rund 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.”
[Link]
Konkret heißt das: Die 24 Milliarden Euro sind investiert. Das teilt sich wie folgt auf:
Falls Sie Bock haben sich durch die 54 Seiten der Anlagen von 2021 zu klicken: [Link]
Alleine 40 Seiten davon sind Unternehmensaktien. Das Geld steckt im Grunde überall, exemplarisch ein paar bekanntere Unternehmen und die Investmentsummen, zum Überblick.
Alibaba Group Holding Limited 39.787.962,94 €
Alphabet 90.886.804,85 €
Amazon 117.472.183,35 €
Apple 139.548.953,13 €
Astra Zeneca 37.180.728,99 €
Honda Motor 18.189.498,78 €
Johnson & Johnson 22.282.294,03 €
JPMorgen Chase & Co 33.794.800,53 €
Meta Platforms 76.261.562,61 €
Microsoft 120.526.128,60 €
Nestle 75.120.854,90 €
Spotify 23.207.016,22 €
Taiwan Semiconductor Manufacturing 138.828.924,54 €
The Walt Disney Co. 50.256.358,73 €
Total Energies SE 24.714.845,80 €
Uber Technologies GmbH 49.985.427,16 €
Vonovia 140.617.796,00 €
Versicherungen, Immobilienfirmen, Banken, Softwarefirmen – hier findet sich alles. Aber eben auch ein paar Dinge, wo man sich fragen könnte: Okay, muss das sein? Muss Geld, das für die Bezahlung deutscher Atommüllendlagerkosten gedacht ist, in fossilen Geschäftsmodellen liegen?
Zum Beispiel beim russischen Mineralölkonzern Lukoil: 49.091.147,26 €
Das ist auch fraglich, weil der Fonds eigentlich entsprechende Nachhaltigkeitskriterien erfüllen muss. Die vielfach als windelweich kritisiert werden - die mangelnden ökologischen Leitplanken im Aktiengeschäft sind ein Thema für sich. In jedem Fall habe ich mit Blick auf die Liste doch das eine oder andere Mal überrascht geatmet.
Plus: 24 Milliarden klingen viel. Für einen Prozess, der auf Jahrzehnte angelegt ist und eine Infrastruktur schaffen soll, die auf Jahrtausende Sicherheitskriterien erfüllt - naja, wir werden sehen. Die Sache mit dem Atommüll ist in jedem Fall eine ziemlich große Aufgabe. Und eine teure.
Diese Ausgabe hat Ihnen gefallen? Teilen Sie sie gerne. Persönliche Empfehlungen machen im Überangebot an Texten, Podcasts etc. einen Unterschied. Ich würde mich freuen! Auch darüber, wenn Sie zur nächsten Ausgabe wieder an Bord sind.
Bis dahin!
Frau Büüsker
Anbei im “Schutzausrüstung für die Einfahrt in Schacht Konrad”-Outfit.
Super eingetuppert (liebs)!
"Nu mal nicht so hastig mit den jungen Pferden. In 8 Jahren sollen wir uns auf einen Plan festlegen? Da brauchen wir mehr Zeit. Im Gegenzug könnten wir doch vielleicht nächstes Jahr mal anfangen einen jährlichen Bericht zu veröffentlichen." 😂