Atomausstieg mitten in der Energiekrise?
Ausgabe 22 - Welche Fragen der Atom-Untersuchungsausschuss klären muss & wie viel Machtpolitik dahinter steckt
In diesem Newsletter geht es in ideologisch extrem vermintes Gelände: Den deutschen Atomausstieg. Der ist zwar vollzogen, die letzten deutschen Meiler wurden im April 2023 heruntergefahren. Die Union setzt das Thema in den kommenden Monaten allerdings wieder nach weit oben auf die Tagesordnung – denn sie hat einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss durchgesetzt. Die Konservativen wüssten gerne…ja, gut, was eigentlich? Sie stellen – basierend auf Berichterstattung des Magazins Cicero – den Vorwurf in den Raum, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke aus politischen Gründen eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke verhindert haben. Obwohl es die ja gab. Was dahinter steckt & wie das nun im Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden soll, darum geht es in dieser Ausgabe.
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Das Paul-Löbe-Haus, in dem die Ausschusssäle des Bundestages untergebracht sind
Der deutsche Atomausstieg passierte 2022/2023 mitten in einer Krisenzeit. Blackouts wurden für möglich gehalten, Ministerpräsidenten gaben Tipps für energieschonende Körperhygiene (Empfehlung: Waschlappen) und viele Deutsche setzen sich erstmals damit auseinander, wie ihre Heizung eigentlich warm wird. Während in der Ukraine Menschen um ihre Zukunft kämpften, jeden Tag Unschuldige starben. Und noch immer sterben. Unsere Energiekrise ist vorbei, der Krieg dauert an. Um aber zu verstehen, warum wir in den kommenden Monaten öffentlich wieder so viel über Details des deutschen Atomausstiegs hören werden, müssen wir an verschiedene Punkte der jüngeren Geschichte zurück. Wenn Sie lieber direkt zum Untersuchungsausschuss möchten, scrollen Sie ein Weilchen, ich habe Ihnen den Wiedereinstieg markiert, können Sie gar nicht verfehlen.
Handeln in Krisenzeiten.
24. Februar 2022. Europa erwacht an diesem Donnerstagmorgen im Krieg. Russland hat seinen brutalen Einmarsch in die Ukraine begonnen. Der Tag ist eine Zäsur - es folgen widerwärtigste Kriegsverbrechen, internationale Bündnisse ordnen sich neu, Handelswege reißen ab, alte Gewissheiten lösen sich ins Nichts auf. Die deutsche Energie- und Industriepolitik verliert ihr Fundament. Denn: Deutschland hatte sich massiv von Russland abhängig gemacht. Billiges russisches Gas ist der Motor der deutschen Industrie, billiges russisches Gas heizt deutsche Wohnungen. Gas gilt als Brückentechnologie hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft – über Förderprogramme fließt unter der Großen Koalition Steuergeld in den Austausch von Öl- in Gasheizungen, statt in echte klimaneutrale Alternativen.
Die deutschen Reserven wurden in russische Hand gegeben, 2012 geht der größte deutsche Gasspeicher, ein ehemaliges Gasfeld im niedersächsischen Rehden, an die Firma Astora. Eine Tochter der Wingas, die wiederum eine Tochter von Gazprom ist, ein Unternehmen, das mehrheitlich in Händen des russischen Staates ist. Über Tochter-Tochter-Tochter-Strukturen wird der direkte Draht in den Kreml für die Öffentlichkeit verschleiert.
Als eben dieser Kreml den Marschbefehl für die russischen Truppen Richtung Kiew gibt, sind die russischen Gasspeicher in Deutschland nur noch mickrig gefüllt. Im Vorjahr wurde wenig geliefert, man ging mit niedrigen Füllständen in den Winter – aber alles kein Problem, ließ der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU, wissen. [Link] Mit dem 24.02.22 wurde es zu einem Problem.
Plötzlich war man abhängig von einem Land, das einen imperialistischen Angriffskrieg führt. Wollte sich über die gerade fertiggestellte Pipeline Nordstream 2 sogar noch abhängiger machen. Konnte Deutschland jetzt die Ukraine überhaupt bei der Verteidigung unterstützen? Oder würde Russland den Gashahn dann zudrehen? Muss nicht gar Deutschland freiwillig auf das Gas verzichten, weil es sonst den russischen Angriffskrieg mit finanziert?
In diesen Tagen läuft Berlin im Krisenmodus. Es ist völlig unklar, was passieren wird. Gelingt es Russland, bis Kiew durchzumarschieren? Die Ukraine mit einem Handstreich zu erobern? Macht Putin dann Halt oder sucht er die Konfrontation mit der Nato? Droht hier gar eine weltweite Eskalation? Neben militärischen Fragen gilt es jetzt, das Funktionieren der deutschen Energieversorgung zu sichern. Auch die mit Strom. Im Wirtschaftsministerium waren deshalb bereits vor Kriegsbeginn erste Gespräche mit Kraftwerksbetreibern geführt worden – auch mit denen der noch laufenden Atomkraftwerke.
Hä, aber wir hatten doch zu wenig Gas?
Ja – aber Gas ist eben nicht nur wichtig für Wärmeversorgung und Industrieprozesse – es wird auch verstromt. Erdgaskraftwerke spielen in Deutschland eine immer wichtigere Rolle – auch hier gilt Erdgas als die „Brücke“ zur Klimaneutralität. Denn Erdgas zu verbrennen ist für das Klima etwas weniger katastrophal als Kohle.
11,4 Prozent des in Deutschland erzeugten & eingespeisten Stroms wurden 2022 durch Erdgas erzeugt. [Link] Der Anteil von Atomstrom im gleichen Jahr: 6,4 Prozent
Steigende Gaspreise treiben die Strompreise. Auch, weil der Markt so organisiert ist - über das sogenannte Merit-Order-Prinzip bestimmt der teuerste Energieträger den Handelspreis des Stroms. Wird teures Gas verstromt, wird der Strom teuer. Dazu kamen Panikreaktionen des Marktes.
In der Folge sah sich die Bundesregierung mit zwei konkreten Problem konfrontiert:
1. Wie sorgen wir dafür, dass Deutschland genügend Gas & Strom hat?
2. Wie kriegen wir die Preise in den Griff?
Die erste Frage wurde noch dringender, als Russland im Sommer 2022 die Gaslieferungen über Nordstream drosselte. Eine angeblich defekte Turbine wurde zum Politikum - die Bundesregierung zweifelte an den technischen Begründungen des Kreml. [Link] Was auch immer Russland mit der Drosselung durchsetzen wollte – es erübrigte sich, als Ende September 2022 3 der 4 Pipelinestränge in die Luft gesprengt wurden.
Interesse am Aufklärungsstand: Der Dark-Matters Podcast hat eine hervorragende zusammenfassende Folge: [Link]
Und was hat all das jetzt mit dem deutschen Atomausstieg zu tun?
Um Gas zu sparen, sollte weniger davon verstromt werden. Heißt aber auch: Andere Energieträger müssen diese Lücke füllen. Denn ein sinkendes Stromangebot – so die Sorge – hätte die Strompreise möglicherweise getrieben. In der öffentlichen Debatte machte sogar das Wort „Blackout“ die Runde – was, wenn wir im Winter gar nicht mehr genug Strom haben? Und dann wollen wir auch noch die Atomkraftwerke zu Ende Dezember abschalten? Ob das wirklich eine so gute Idee sei, daran zweifelten in der öffentlichen Debatte einige.
Aber wieso überhaupt abschalten?
Naja, weil Union & FDP 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen haben.
Ja, deutsche Atompolitik ist ein verwirrender Zickzack, wir müssen am Zeitstrahl nochmal ein Stück zurück wandern…
2002 hatte die rot-grüne Bundesregierung zum ersten Mal den Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen. Mit dem Verbot des Baus neuer Meiler und festgelegten Reststrommengen, die die Nutzung befristeten – der Ausstieg.
Im Oktober 2010 änderten Union & FDP das Atomgesetz – sprachen den Kraftwerken weitere Strommengen zu – der Ausstieg vom Ausstieg.
11. März 2011 – in Folge eines Erdbebens und eines Tsunamis kommt es zu Störfällen im japanischen Kraftwerk Fukushima. Kernschmelzen in 3 Blöcken. Unter dem Eindruck des Unglücks kommt es in Deutschland zu großen Demonstrationen gegen Atomkraft. Mitten im Landtagswahlkampf Baden-Württemberg. Die dort regierende CDU gerät unter Druck.
Am 14. März beschließt die Bundesregierung unter Angela Merkel Hals über Kopf ein Atom-Moratorium. Die ältesten deutschen Kraftwerke müssen vorübergehend stillgelegt werden. Die Landtagswahl kann das nicht retten, die Grünen werden stärkste Kraft, Winfried Kretschmann wird Ministerpräsident in Stuttgart.
Im Juni 2011 beschließt die schwarz-gelbe Bundesregierung den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg.
Die Kraftwerksbetreiber wehren sich juristisch. Wegen des Hals-über-Kopf Handelns muss der Staat 2,43 Milliarden Euro Entschädigung zahlen. Egal, ob man den Ausstieg an sich gut oder schlecht findet - wozu Sie von mir hier keine Wertung erhalten werden - dieser Zickzack kann enorm verdrussfördernd wirken.
Für die einzelnen Meiler stehen seit dieser letzten Gesetzesänderung konkrete Ausstiegsdaten fest. Als Wladimir Putin seine Panzer nach Kiew schickt, sind nur noch drei Meiler in Betrieb: Isar 2, Neckarwestheim 2, Emsland. Sie erzeugen 6,4 Prozent des deutschen Stroms. Am 31. Dezember 2022 endet ihre Betriebserlaubnis. Mitten im Winter vor dem jetzt alle Angst haben.
Sollte man das wirklich so machen – oder könnte man die Laufzeit der Meiler verlängern? Was muss dafür passieren? Und wenn sie verlängert wird, wie lange dann?
In der politische Bubble wird diese Debatte schnell nicht mehr nur bezogen auf die aktuelle Krisensituation geführt, sondern ganz schnell zieht auch ein Hauch von Wiedereinstieg durchs Regierungsviertel.
Der Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg steht im Raum. Politiker aus Union und FDP verkünden, dass ihre Zustimmung zum Ausstieg 2011 ein Fehler war. Dass man die Atomkraft brauche. Frankreich wird als Beispiel herangezogen.
Du lieber Himmel, ausgerechnet Frankreich, wo die Meiler altersschwach sind und die Klimakrise das Kühlwasser wegtrocknet, werfen die Gegner:innen der Atomkraft ein. Achso und wie war das noch mit dem Endlager, erklärt sich etwa Markus Söder bereit das nach Bayern zu nehmen, wenn er schon so vehement die Laufzeitverlängerung fordert?
Aber so absurd ist die Forderung vielleicht auch gar nicht?
Ein Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber kommt zu dem Schluss, dass eine geringfügige Verlängerung der Laufzeit im Winter durchaus kleine positive Effekte mit sich bringen könnte – Stichwort Netzstabilität & erzeugte Strommenge. [Link]
Es wird aber auch deutlich, dass es darüber hinaus weitere Maßnahmen braucht, die das Wirtschaftsministerium auch auf den Weg bringt. Nicht nur in Sachen Stromnetzstabilität – die Grünen verabschieden sich auch von ihrer jahrelangen Blockade von LNG-Infrastruktur. Im Schnellverfahren bekommt Deutschland mobile Importterminals, unterstützt mit Steuergeld.
Die Atomdebatte aber wird jetzt verdammt giftig. Auch zwischen den Koalitionspartnern. Die FDP positioniert sich explizit als Partei einer Laufzeitverlängerung – will gar neue Brennstäbe kaufen, für den Fall der Fälle. Sie zieht damit in den Landtagswahlkampf Niedersachsen, wo mit dem Meiler Emsland eines der letzten Kraftwerke steht. Akteure wie Bundesvize Wolfgang Kubicki machen sich zwischenzeitlich sogar dafür stark die drei 2021 stillgelegten Kraftwerke wieder hochzufahren. Wolfgang Kubicki, der übrigens 2011 voller Überzeugung verkündet hatte, das Unglück von Fukushima müsse an der Nutzung der Atomkraft etwas ändern:
Schleswig-Holsteinischer Landtag, Plenarprotokoll 17/44 [Link]
Bei der Landtagswahl am 9. Oktober verpasst die FDP mit 4,7 Prozent den Wiedereinzug ins Landesparlament von Niedersachsen.
Am 17. Oktober beendet der Bundeskanzler die Debatte – mit einem Machtwort.
Die Laufzeit der Meiler wird verlängert. Ein bisschen jedenfalls. Bis 15. April, mit bestehenden Brennstäben. Die werden sozusagen noch ein bisschen ausgequetscht – rekonfiguriert, damit länger Strom mit ihnen erzeugt werden kann. Dafür wird das Atomgesetz geändert. [Link]
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Möglich ist diese Entscheidung, weil die zuständigen Ministerien – Wirtschaft & Umwelt – in den Monaten davor eben diese Szenarien ausgearbeitet haben. Was möglich wäre und unter welchen Bedingungen.
Aber ob sie dabei sauber gearbeitet haben – das möchte die Union jetzt durch den Untersuchungsausschuss prüfen lassen.
Pikanterweise möchte die Union dabei erst mit dem 24. Februar 2022 beginnen, mit dem Beginn des Krieges. Wie die Große Koalition durch Nordstream 1&2 die Abhängigkeit von Russland förderte, wird damit nicht unmittelbarer Untersuchungsgegenstand.
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse dienen den Parlamentarier:innen dazu, Missstände zu untersuchen, Fehlverhalten aufzudecken, Transparenz zu schaffen. So die Idealvorstellung. Sie werden deshalb auch gerne als das “schärfste Schwert” des Parlamentarismus bzw. der Opposition bezeichnet. Zur Wahrheit gehört aber auch: Oft dienen Untersuchungsausschüsse auch dazu, Themen zu politisieren & den Mitbewerber:innen eins mitzugeben.
Klären wir kurz ein paar Formalia – und politischen Überbau.
Ein Untersuchungsausschuss kann eingesetzt werden, wenn mindestens ein Viertel der Abgeordneten des Bundestages diesem zustimmt. Mit 195 Abgeordneten brachte die Union hier also ausreichend Mandatsträger:innen aufs Parkett. Aber: Der Geschäftsordnungsausschuss des Bundestags muss trotzdem zustimmen. In diesem Fall tat er das – anders als letztes Jahr! Da scheiterte die Union mit dem Versuch einen Untersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre einzusetzen, also Vorgänge in den Blick zu nehmen, die potentiell auch dem Bundeskanzler hätten, naja, mindestes unangenehm werden können. Es geht hier um die Frage, ob Olaf Scholz in seiner Funktion als Regierender Bürgermeister von Hamburg Einfluss darauf genommen hat, wie die Behörden mit der Bank umgegangen sind.
Weil es hierbei aber um Geschehnisse in Hamburg geht, haben die Ampel-Parteien damals im zuständigen Bundestagsausschuss gesagt: Nö, da ist der Bund gar nicht zuständig, also kann es auch im Deutschen Bundestag keinen Untersuchungsausschuss dazu geben. Die Union und darüber alles andere als amused & klagt inzwischen vor dem Bundesverfassungsgericht. [Link]
Anstelle des Kanzlers rückt jetzt also der Vizekanzler in den Blick eines U-Ausschusses. In einem internen Schreiben sprach die Union rund um den Antrag vom „Untersuchungsausschuss Habeck-Akten“. Mögliche Fehlverhalten sollen klar mit dem potentiellen grünen Kanzlerkandidaten nach Hause geben. Ob es sie nun gibt oder nicht.
Ausgangspunkt der Vorwürfe ist, wie schon erwähnt, eine Recherche des Magazins Cicero. Dieses hatte Unterlagen aus dem Wirtschaftsministerium eingeklagt – und stellt die These auf, dass in beiden Ministerien Wortmeldungen von den Fachebenen missachtet wurden. Belegt werden soll dies mit Dokumenten in denen Fachleute Szenarien durchdeklinieren und zu Schlussfolgerungen kommen. Cicero und auch die Union kommen auf Basis der Lektüre zu dem Schluss: Auf höheren Ebenen wurden diese Szenarien nicht mehr berücksichtigt – sie flossen – so der Vorwurf – zum Beispiel nicht in einen Prüfvermerk beider Ministerien ein, der am 7. März veröffentlicht wurde. [Link]
Header des Prüfvermerks aus Wirtschafts- und Umweltministerium
Verschiedene Bearbeitungsversionen, in denen Textarbeit sichtbar wird, dienen ebenfalls als Beleg für die angeblich bewusste Täuschung. Denn das ist der ganz grundsätzliche Vorwurf der Union: Die Öffentlichkeit soll hier getäuscht worden sein, es habe gar keine ergebnisoffene Prüfung gegeben wie sie der Wirtschaftsminister versprochen hatte. Für die Grünen soll von Anfang an festgestanden haben, dass es keine Laufzeitverlängerung geben darf. Obwohl es die ja am Ende tatsächlich gab.
Ein Teil der Unterlagen, die Cicero und Union bemängeln liegt einem großen Teil der Hauptstadtpresse vor. Ich habe sie gelesen, Kolleg:innen haben sie gelesen – und ich kenne niemanden, der die Geschichte so gedreht hätte, wie der Cicero. Es gibt aber Stellen, in die man – will man es tun – einen politischen Dreh hineinlesen kann.
Textarbeit. Wir gehen rein.
Da ist etwa ein Dokument aus dem Umweltministerium, ein Vermerk der Arbeitsgruppe S I 2 vom 1. März 2022. Es trägt den Titel „Mit der nuklearen Sicherheit verträgliche Szenarien“.
Das Umweltministerium ist als oberste Aufsichtsbehörde für die Reaktorsicherheit zuständig – dies sind also die Aspekte, die hier geprüft wurden. Energiesicherheit & Strompreise stehen auf der Zuständigkeitsliste des Wirtschaftsministeriums.
Im Dokument heißt es:
„Im Hinblick auf eine diskutierte Verlängerung der Laufzeit deutscher Kernkraftwerke stellen sich komplexe technische, ökonomische und rechtliche Fragen. Nachfolgend werden hinsichtlich des Betriebs von Kernkraftwerken in Deutschland, über das Jahresende 2022 hinaus, aus technischer Sicht drei Szenarien diskutiert, die mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar wären.“
Szenario A: Endgültige Abschaltung
Szenario B: Kurzzeitiger Weiterbetrieb der Kernkraftwerke (Monate)
Szenario C: Langzeitiger Weiterbetrieb der Kernkraftwerke (Jahre)
Szenario C ist das am ausführlichsten dargestellte, versehen mit dem Hinweis, dass ohne Klärung unter Beteiligung der Betreiber, Hersteller und Landesaufsichtsbehörden sowie deren Gutachter nicht zu beantworten ist, ob ein unterbrechungsfreier Betrieb längerfristig stattfinden kann. Dann werden die unterschiedlichen für dieses Szenario zu klärenden Fragen aufgeworfen – wie etwa der Hinweis auf die Beschaffung von Brennelementen („aus sicherheitstechnischer Sicht intensiv aufsichtlich zu begleiten“) oder die periodischen Sicherheitsüberprüfungen, die seit 2019 ausstehen.
Der Vermerk erläutert Szenarien und gibt keine abschließende Empfehlung, was daraus abgeleitet werden sollte.
Diese wird erst durch die darüberliegende Ebene, die Abteilungsleitung S hinzugefügt, in einem Vermerk vom 3. März 2022. [Link]
Darin heißt es einleitend:
„Die Abteilung S (Nukleare Sicherheit, Strahlenschutz) kommt zu dem Ergebnis, dass diese Verlängerung der Laufzeit der drei noch laufenden Atomkraftwerke über den gesetzlich festgelegten und planerisch zugrunde gelegten 31.12.2022 hinaus sicherheitstechnisch nicht vertretbar ist.“
Der Vermerk der Leitungsebene ist ausführlicher, die Arbeit der unteren Fachebene ist im Text aufgegangen. Daneben sind erkennbar weitere Informationen und/oder Erfahrungswerte in umfangreiche Schilderungen zum Aspekt der Sicherheitsüberprüfungen eingeflossen.
Serafin Reiber und Jonas Schaible formulieren im Spiegel auf Basis der Lektüre dieser Dokumente: [Link]
„Ist es die Aufgabe eines Abteilungsleiters, so eine vereindeutigende Schlussfolgerung vorzunehmen, anstatt die Szenarien nüchtern weiterzugeben? Je nachdem, wie man dazu steht, kann man auf Grundlage der vorliegenden Dokumente eine gewisse Täuschungsabsicht erkennen.“
Was ist die Aufgabe eines Abteilungsleiters, der seiner Hausleitung wenige Tage nach Ausbruch eines Angriffskriegs in Europa eine Entscheidungsgrundlage liefern muss? Auch über solche Fragen wird im Untersuchungsausschuss geredet werden. Wir reden hier auch über Nuancen, über die Bewertung von Verhaltensweisen, die man unterschiedlich un/voreingenommen betrachten kann.
Insofern wird sich durch den Untersuchungsausschuss vieles über das Arbeiten in Ministerien in Krisenzeiten lernen lassen und darüber, wie politische Entscheidungen entstehen, wie sie kommuniziert werden. Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass wir lernen werden, dass grüne Minister:innen eine Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke verhindert haben – denn die gab es ja. Genau das ist auch die Kuriosität, die den Untersuchungsausschuss in den Augen vieler einigermaßen überflüssig wirken lässt. Denn das darf man nicht vergessen: Dieser Ausschuss bindet Arbeitskraft der Abgeordneten, ihrer Mitarbeiter:innen, der Verwaltung des Deutschen Bundestages, von Journalist:innen & jene der geladenen Zeug:innen.
Abgeordnete warten vor dem Raum E600 auf den Beginn der konstituierenden Sitzung
Trotzdem gilt es diesen Ausschuss aus meiner Sicht intensiv und gut zu beobachten. Eben weil dieses Thema ein erhebliches Polarisierungspotential birgt.
Interessant ist schon jetzt zu beobachten, wen die einzelnen Parteien zur Teilnahme schicken. Die Union, die den Ausschuss unbedingt wollte, schickt Teilnehmende der zweiten, wenn nicht gar dritten Reihe.
Den Juristen & Innenpolitiker Stefan Heck, der Vorsitzender des U-Ausschusses ist, sowie Anne König (Ausschuss Klimaschutz & Energie) sowie Andreas Lenz (Ausschuss Klimaschutz & Energie).
Die SPD schickt drei junge Abgeordnete – Robin Mesarosch (Ausschuss Klimaschutz & Energie), Jakob Blankenburg (Umweltausschuss) sowie Zanda Martens (Rechtsausschuss). Die Grünen senden mit Konstantin von Notz einen erfahrenen U-Ausschuss-Teilnehmer, flankiert von Lukas Benner (Rechtsausschuss). Für die FDP nehmen Frank Schäffler (Anti-Heizungsgesetz-Warrior, Haushaltsausschuss) und Judith Skudelny (Umweltausschuss) teil, die AfD schickt Andreas Bleck (Umweltausschuss). Die Linkspartei schenkt sich die Teilnahme.
Am 4. Juli hat sich der Ausschuss konstituiert – nach der parlamentarischen Sommerpause nimmt er seine reguläre Arbeit auf. In zahlreichen Sitzungen werden Zeugen gehört. Wir sehen uns auf der Besucher:innentribüne.
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Danke für Ihre Aufmerksamkeit & bis zum nächste Mal!
Frau Büüsker