Den Heizungsstreit verstehen
Die Ampel-Koalition ist im Krisenmodus, intern vollkommen verkracht. Aber warum eigentlich? Die Knackpunkte, die Sie kennen sollten, um den Überblick zu behalten:
Moin!
Die Ampel-Parteien haben sich in den vergangenen Wochen mächtig auf die Mütze gegeben. Der Heizungsstreit hat die Koalitionäre in so raue rhetorische Fahrwasser gebracht, dass ich ins Zweifeln gekommen bin, wie sehr den Beteiligten noch an einer Fortsetzung dieser Koalition gelegen ist. Aber parteipolitische Kristallkugelguckerei sollen mal die anderen machen – in dieser Ausgabe des Newsletters soll es um Inhalte gehen.
Denn könnten Sie auf Anhieb zusammenfassen, worüber die da in der Ampel eigentlich genau streiten? Wenn ja – genießen Sie den sonnigen Tag! Wenn nein – hier kommt die Zusammenfassung, die sie gebraucht haben, um zu verstehen, worum es im Heizungsstreit eigentlich geht. Über berechtigte Kritik und ein letztes(?) Aufbäumen der Fossilen.
Wärmewende – wir gehen rein.
Schön, dass Sie dabei sind!
Lesezeit: 14-19 Minuten
Brace yourself - statt Fotos von Heizkörpern habe ich in dieser Ausgabe fast ausschließlich Berlin-Mitte-Symbolbilder zur Auflockerung der Textwüste.
Kurz nochmal die Basics: Streitpunkt ist das sogenannte Gebäudeenergiegesetz. Das soll so verändert (novelliert) werden, das ab dem 1. Januar 2024 nur noch Heizungen eingebaut werden können, die zu 65 Prozent mit Erneuerbaren Energien betrieben werden.
Hä? Ja, diese Angabe ist verwirrend, es geht um Anrechnungsfragen, Kombinationstechniken, Beimischungsquoten. Einigen wir uns auf die Vereinfachung, dass ab diesem Zeitpunkt keine reinen Öl- und Gasheizungen mehr eingebaut werden können, wenn zum Beispiel die alte Heizung unrettbar im Eimer ist. So der Plan – ob das Ergebnis am Ende so aussehen wird: Abwarten.
Aber schon der Plan ist ein Paradigmenwechsel auf kurzer Zeitschiene. Denn bis zum vergangenen Sommer konnte, wer im Sanierungsfall eine neue Gasheizung eingebaut hat, noch Förderprämien vom Staat dafür erhalten. Ja, der Staat hat den Einbau von Gasheizungen mit Steuergeldern gefördert - bis 2022. Eine Überbleibsel der schwarz-roten Bundesregierung unter Angela Merkel. Um von Ölheizungen wegzukommen, wurden Gasheizungen verbaut, fossile Infrastruktur, gefördert mit Steuergeld.
Mit dem Erfolg, dass Gasheizungen nun die Technologie Nummer 1 in der Wärmeerzeugung der deutschen Privathaushalte sind, vor allem im Bestand. Und mit dem Erfolg, dass Deutschland in eine massive Importabhängigkeit von Russland geraten ist. Mit all den tollen Nebenwirkungen, die wir im vergangenen Jahr gemeinsam erleben durften.
Achso – und mit dem Erfolg, dass der Gebäudesektor weiterhin Jahr für Jahr seine Emissionsminderungsziele reißt, Deutschland also zu viel CO2 in die Atmosphäre pustet.
Stellen wir uns kurz gemeinsam vor, wie es hätte sein können, hätte man all diese Gelder in die Dekarbonisierung der Wärmeproduktion gesteckt, sie also fossilfrei aufgestellt.
Gönnen Sie sich den Moment, man darf auch ruhig mal träumen.
Nun gut. Weil Angela Merkel prokrastiniert beziehungsweise lieber Pipelines nach Russland befürwortet hat, stehen wir jetzt also im Frühjahr 2023 da und gucken uns fragend an, wie das denn alles funktionieren soll.
Es gibt inzwischen einen Beschluss der Bundesregierung, das Kabinett hat einen Gesetzentwurf des Wirtschafts- und Klimaministeriums abgesegnet – die FDP hat allerdings direkt eine Protokollnotiz hinterlassen, dass das Parlament bitte nachbessern möge, weil der Entwurf so nichts tauge.
Das ist in Teilen bedauerlicherweise korrekt.
Der Gesetzentwurf des Wirtschafts- und Klimaministeriums hat eklatante Schwächen. Das Dokument ist knapp 170 Seiten lang und verliert sich in Mikromanagement. Jeder wenn, falls, sofern, möglicherweise, unter-Umständen-Fall soll durchreguliert werden. Falls Sie Paragraphem-Gourmet sind: Viel Spaß. [Link]
Im Grunde will das Gesetz regeln, dass a zulässig ist, wenn b erfüllt ist, unter der Voraussetzung c und der Einschränkung d, bei gleichzeitiger Beachtung von e, wenn nicht f, dann g, aber keinesfalls k und b kann grundsätzlich nur erfüllt sein, wenn y.
Mein Lieblingsbeispiel betrifft den Einsatz von Biomethan:
„(2) Der zur Erzeugung der gasförmigen Biomasse eingesetzte Anteil von Getreidekorn oder Mais in jedem Kalenderjahr darf insgesamt höchstens 40 Masseprozent betragen. Als Mais im Sinn von Satz 1 sind Ganzpflanzen, Maiskorn-Spindel-Gemisch, Körnermais und Lieschkolbenschrot anzusehen. Satz 1 ist nur für neue Vergärungsanlagen anwendbar, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes in Betrieb genommen werden.“
Falls Sie sich jetzt fragen sollten, was zum Henker Lieschkolbenschrot ist: Hierbei handelt es sich um den geernteten Maiskolben inklusive der ihn umgebenden Blätter, der dann im Häcksler zerkleinert wird. Für weitere Details würde ich Sie an das Deutsche Maiskomitee e.V. verweisen und nein, wusste ich auch nicht, dass es das gibt. [Link]
Dieser Ansatz des Mikromanagements ist einer der großen Kritikpunkte.
Beziehungsweise die Frage, die dahinter steht: Wie viel kann beziehungsweise sollte der Staat vorgeben? Was ist notwendig und was ist bürokratische Regelwut? Braucht es lediglich Leitplanken, zwischen denen sich die Umsetzung entwickeln kann oder braucht es einen detaillierten Fahrplan, der sagt, 40% Lieschkolbenschrot fahren um 9:45 zur Bahnhofsstraße und gehen nicht über Los?
Nun kommt diese regulatorische Detailversessenheit natürlich nicht von ungefähr – dahinter steht die Überzeugung mit sehr konkreten Vorgaben sehr konkrete Emissionsminderungen zu erzielen. Denn darum geht es ja. Die Wärmeerzeugung erzeugt einen großen Teil der deutschen CO2-Emissionen. Macht man staatliche Vorgaben durch welche Technik die fossile Heizinfrastruktur zu ersetzen ist, lässt sich in ein klarer Pfad in Richtung Klimaneutralität vorgeben – und im Idealfall auch erreichen. So zumindest die Denkschule, die hinter dem Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes steht.
Das bedeutet aber sehr klare Vorgaben, die a) in den Privatbereich eingreifen. Das führt zu Abwehrreaktionen. Und die b) einen sehr engen technologischen Pfad aufzeigen, der Verfügbarkeit dieser Technologie voraussetzt. Stichwort Marktverfügbarkeit, Ressourcenverfügbarkeit, Fachkräfte etc. pp.
Und das kann Auswirkungen auf die Preise haben. Wenn alle Technologie x wollen, die Zahl von Technologie x aber durch äußere Faktoren begrenzt ist, dann steigen die Preise.
Die Theorie des klar berechenbaren Emissionsminderungspfades bekommt hier schnell ein paar Risse. Ganz so einfach funktioniert es nicht.
Kann der Markt es also regeln? Indem beispielsweise der CO2-Preis genutzt wird, um fossile Technologien aus dem Markt zu drängen – weil die ja teurer und damit unattraktiver werden? In der Theorie eine extrem geile Vorstellung. Aber sie funktioniert nur dann, wenn tatsächlich ein technologischer Wechsel stattfindet. Insbesondere Mieterinnen und Mieter können diesen technologischen Wechsel aber gar nicht selbst vornehmen. Und das ist nur ein Beispiel. Sofern diejenigen, die die Investitionsentscheidung treffen müssten, die Kosten auf andere abwälzen können, gibt es keinen Wechselanreiz.
Ohne Technologiewechsel führt der CO2-Preis lediglich zu höheren Kosten. Das führt zu weniger Akzeptanz – und am Ende bleibt so im für den Klimaschutz schlimmsten Fall die fossile Infrastruktur erhalten, weil keiner mehr Bock hat was zu ändern, denn es ist ja teuer.
Ein Aspekt der derzeitigen Streitigkeiten über die Heizwende ist, dass es auch in den Regierungsparteien Akteure gibt, denen das durchaus lieb wäre. Die Dekarbonisierung für Kappes halten und die Klimakrise nicht ernst nehmen. Obwohl selbst das Bundesverfassungsgericht inzwischen die Pflicht zum Klimaschutz aus dem Grundgesetz ableitet. Bei diesen fossilen Kleingeistern handelt es sich meiner Einschätzung nach aber um eine Minderheit. Allerdings eine teils laute. Und das ist immer gefährlich, denn wenn es den Lauten gelingt, durch Schreien das politische Mittelfeld, die Nicht-Fachleute, die Nicht-ganz-Überzeugten auf ihre Seite zu holen, dann drohen die Mehrheiten fürs Klima zu fallen.
Die Frage, wie viel der Staat konkret vorgeben sollte, bringt uns direkt zum nächsten Streitpunkt: Der Technologieoffenheit.
Obacht! Dieses Wort wird in der Debatte sehr unterschiedlich benutzt, das macht das Ganze tückisch. Zum einen nutzen es jene, die gerne weiter Gas verfeuern würden, also gar nichts ändern wollen. Zum anderen nutzen es aber auch diejenigen, denen an ernsthaften Lösungen gelegen ist, die einfach nur mehr echte Optionen wollen.
Grundsätzlich lässt das Gebäudeenergiegesetz in seiner Entwurfsform durchaus mehrere Heizoptionen zu. Wärmepumpe, Solarthermie, Stromdirektheizung, Hybridheizung, Geothermie, Wasserstoff, Holzpellets, Biomasse. Die beiden letzteren sollen aber im Neubau beispielweise nicht bis kaum mehr möglich sein, weil diese in der Regel ganz hervorragend so errichtet werden können, dass die Wärmepumpe das günstigste Heizmittel der Wahl ist. Dennoch hätte die FDP gerne, dass es möglich ist.
Wir sind hier wieder bei der grundsätzlichen Frage. Was soll der Staat vorschreiben dürfen? Im Grunde kann man sagen: Die FDP will, dass die Bürger:innen die Freiheit haben, sich für eine Heiztechnologie zu entscheiden, auch dann, wenn diese ökonomisch eigentlich nicht sinnvoll ist. Und klimapolitisch vielleicht auch bloß suboptimal. Aber: Die Freiheit zur Entscheidung soll gegeben sein.
Deshalb stört sich die Partei auch an anderen Aspekten des Gesetzes. Es sind Fristen und Grenzwerte, die z.B. aus Sicht der Freien Demokraten die Technologiefreiheit einschränken. Beispiel Wasserstoff – dieser soll nur möglich sein, wenn die Netzbetreiber zum Zeitpunkt x eine Versorgung mit grünem Wasserstoff gewährleisten können. Dieser Zeitpunkt liegt aber zeitlich so früh, dass es kaum realistisch ist, dass Versorger schon entsprechende Angaben garantieren können. Dies führe in der Praxis dazu, dass das Gesetz gewisse Technologien dann doch ausschließe – das beklagt auch der Verband der Kommunalen Unternehmen, kurz VKU.
Auch wenn der Entwurf zur GEG-Novelle keine reine Fokussierung auf die Wärmepumpe darstellt, so ist schon erkennbar, dass das Gesetz darauf abzielt, diese Technologie als Energiequelle Nummer eins unter die Leute zu bringen. Und auf diese Weise die Wärmeversorgung umzustellen – von gasbetrieben hin zur Elektrifizierung. Strom, der in einer idealen Welt zu 100 Prozent aus Erneuerbaren Energien kommt.
Das wiederum würde einen fundamentalen Wandel unserer Infrastruktur voraussetzen. Nicht nur, dass die Stromnetze ausgebaut werden müssen – müssen sie eh. Es steht auch ein enormer Wertverlust für die kommunalen Unternehmen an. Denn wenn immer weniger Gas gebraucht wird, dann braucht auch irgendwann keiner mehr die Rohre, die Gas von a nach b transportieren. Die Gasnetze werden überflüssig, Werte verfallen – Wiederbeschaffungswert 270 Milliarden Euro, so der VKU. [Link]
Hier liegt also ein handfestes wirtschaftliches Interesse vor, fossile Infrastruktur nicht stillzulegen, sondern Nachnutzung möglich zu machen. Dafür bräuchte man klimaneutrale Gase. Im Rahmen von Biogas lassen sich diese in bestimmten Verfügbarkeiten durchaus produzieren – da jedoch die in Deutschland für Anbau mögliche Fläche begrenzt ist, ist auch die Verfügbarkeit von Biogas endlich.
Der Stoff, aus dem die Träume der Gasnetzbetreiber sind, heißt Wasserstoff.
Dieser soll in Zukunft erst beigemischt werden, später dann komplett die Gasnetze übernehmen. Die Idee ist klug, erfordert allerdings eine gewisse technische Nachrüstung, da Wasserstoff ein sehr kleines, flüchtiges Molekül* (H2) ist, dass bei erstbester Gelegenheit durch die nächste Ritze flitzt und tschö. Methan (CH4) ist da als Molekül schon ein bisschen leichter zu transportieren. Dennoch: Probleme sind da, um sie zu lösen, die Umrüstung der Infrastruktur auf Wasserstoff scheint möglich.
Aber ist das sinnvoll?
Daran machen viele Fachleute ein Fragezeichen. Derzeit fehlt es völlig an Produktionskapazität, Importkapazität und Transportinfrastruktur. Aufgrund des billigen russischen Erdgases war ein Umstieg in den vergangenen Jahren schlicht wirtschaftlich nicht reizvoll. Deshalb stehen wir vor einem klassischen Henne-Ei-Problem: Es gab keine Nachfrage, deshalb keine Infrastruktur, also war Wasserstoff nirgendwo zu bekommen, folglich gab es keine Nachfrage, folglich hat es sich nicht gelohnt, Infrastruktur zu bauen.
All das ändert sich gerade, weil die Industrie zur Dekarbonisierung auf Wasserstoff angewiesen ist. Auf grünen Wasserstoff - also z.B. durch Elektrolyse mit EE-Strom aus Wasser hergestellten Wasserstoff.
Absehbar wird in den kommenden Jahren aber nur sehr wenig davon zur Verfügung stehen, sagt auch der Nationale Wasserstoffrat. [Link] Geringe Verfügbarkeit bedeutet hohe Preise.
Ok, wenn wir nicht genügend grünen Wasserstoff haben – vielleicht nehmen wir dann einfach anderen?
Ja, das hätte die Erdgasindustrie gerne. Denn Wasserstoff kann man ganz wunderbar auch aus Methan (CH4) herstellen. Dabei spaltet man durch den Einsatz von Energie den Kohlenstoff ab und – joa, entweder pustet man ihn in die Atmosphäre (schlecht) oder man speichert ihn irgendwo (in Deutschland noch verboten). Wird der Kohlenstoff gespeichert, spricht man von blauem Wasserstoff und dass auch der in Heizungen zugelassen werden soll, hat die FDP durchgesetzt.
Blauer Wasserstoff ist das, womit Erdgasproduzenten in Zukunft noch Geld machen wollen. Wird eine Anschlussverwendung für Methan gefunden, lohnen sich auch Investitionen - beispielsweise in fossile Infrastruktur in Form von LNG-Terminals. Ja, wasserstoffready sollen sie auch sein, beziehungsweise ammoniakready (NH3 lässt sich leichter transportieren als H2), so sieht es eine Novelle des LNG-Beschleunigungsgesetzes vor. Aber bis dahin wird hier Erdgas importiert.
Wie groß das Interesse der Branche in dieser Frage ist, lässt sich am oft beschriebenen neuen Branding einer ihrer Lobbyorganisationen erkennen. Der Interessenverband Zukunft Erdgas benannte sich um - heißt nun Zukunft Gas. Und lädt nahezu im Wochentakt zu Veranstaltungen, um zu erklären, wie wichtig Wasserstoff für alle Bereiche ist.
Unternehmerisch absolut folgerichtig, aber wichtig zu wissen, dass Wasserstoffdebatten immer auch eine fossile Facette haben. Auch deshalb wird um diesen Aspekt der Heizungsfrage so intensiv gerungen.
Die externen Interessenlagen muss man sich vor Augen führen, um den Streit in Berlin zu verstehen.
Politik bedeutet nie, die wissenschaftlich beste Lösung zu finden, sondern einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen zu finden. Und die fossile Industrie hat ein starkes und bestens vernetztes Lobbynetzwerk, das bis in die Parteien hineinreicht, was auch die Verschiebungswünsche einiger SPD-Minister(präsidenten) aus den Ländern erklären könnte. Denn die Heizungshersteller würden schon gerne auch weiter ihre bestehenden fossilen Heizgeräte verkaufen…
Und dann ist da noch das Klimaschutzgesetz.
Moment, fragen Sie sich vielleicht, was hat das jetzt mit der Heizwende zu tun. Nun, die FDP hat beide Themen ganz klar verknüpft. Und geht es beim Klimaschutzgesetz nicht voran, wird sich auch beim Gebäudeenergiegesetz nichts bewegen. Auch deshalb hat die FDP in der vergangenen Sitzungswoche eine Befassung des GEG im Parlament abgelehnt – weil aus dem BMWK noch kein fertiger Entwurf zu den vereinbarten Änderungen beim Klimaschutzgesetz vorliegt.
Diese Änderungen waren, wie das GEG, beim letzten Koalitionsausschuss nochmal festgezurrt worden, nachdem sie eigentlich schon im Koalitionsvertrag standen. Der FDP ist diese Änderung ganz besonders wichtig, weil damit die Sofortprogramme abgeschafft werden, zu denen Ministerien verpflichtet werden, wenn „ihr“ Sektor die Emissionsminderungsziele nicht erreicht. Konkret der Verkehrssektor – hier will die FDP um jeden Preis verhindern, dass irgendwann solche Dinge wie ein Tempolimit oder gar Fahrverbote nötig werden könnten, um die Emissionsminderungsziele einzuhalten. Dies sind aus Sicht der Partei Eingriffe in die Freiheit, die man verhindern will.
Die Eckpunkte, die im Koalitionsausschuss beschlossen wurden, hält der Expertenrat für Klimafragen übrigens für eine Schwächung des Klimaschutzgesetzes. Vor allem weil dadurch klare Verantwortlichkeiten nicht mehr gegeben sind. [Link]
Doch das ist der Deal, ohne den ein Vorankommen des Gebäudeenergiegesetzes nicht möglich scheint. Es gibt weitere Punkte, die Streitfragen darstellen. Etwa die, ob Holzpellets jetzt klimafreundlich sind oder nicht (wissenschaftlich betrachtet: nein). Die Frage, inwieweit die Kosten einer Heizungsmodernisierung auf die Mieter umgelegt werden können. Hier vertreten FDP und SPD komplett konträre Meinungen. Die Ausnahmefälle sind ein Problem – wieso sollen Menschen ab 80 pauschal ausgenommen werden? Aber auch: Wieso sollte man das ausweiten auf ab Renteneintritt? Kann man die Dekarbonisierung alleine den Jüngeren aufbürden? Angesichts der Tatsache, dass die mit den Folgen des fossilen Lebensstils am meisten zu tun haben werden, hätte ich hieran Zweifel.
Weitere Ausnahmefälle: Öffentliche Gebäude könnten rausgenommen werden. Was natürlich gegenüber Privatleuten null komma gar nicht fair erscheint. Naja und dann ist da noch die Finanzierung. Wer kriegt wie viel Zuschuss? Derzeit ist eine pauschale Gießkanne vorgesehen – alle kriegen was, das heißt, wer zuerst umrüstet, hat die Chance noch etwas aus dem Fördertopf zu bekommen. Denn allzu voll ist der nicht – es handelt sich um den Klima- und Transformationsfonds, die Schatztruhe der Bundesregierung. Viel übrig um ein Klimageld auszuzahlen bleibt am Ende wohl eher nicht…
All diesen schwierigen Fragen wird die Art der Debatte derzeit jedenfalls nicht gerecht. Und das ist aus meiner journalistischen Perspektive ganz schön frustrierend. Das Wort “Brechstange” jedenfalls fördert bei mir Politikerverdruss.
In Sachen politische Kommunikation übrigens genial – es beschwört ein unmittelbares Bild hervor und lässt einen geradezu erahnen, wie Robert Habeck persönlich in den Heizungskeller marschiert, um mit einer Brechstange den fossilen Kessel rauszubrechen. Wird so nie passieren – aber darum geht es bei politischem Framing ja nicht. Hauptsache den Punkt gemacht. Ich ahne, dass bei der Union die Sektkorken geknallt haben, als der Spiegel die Brechstange mit aufs Titelbild nahm…
Zum Schluss noch eine Prognose, wie Einigungen möglich wären. Robert Habeck hat ja bereits Entgegenkommen signalisiert – er scheint verstanden zu haben, dass es jetzt Pragmatismus braucht, um dieses Gesetz durchzubekommen. Hauptsache überhaupt was schaffen. Durch zusätzliche Regelungen zum Emissionshandel und eine Einführung des Klimageldes könnte man dann auch noch was okayes draus machen. Vielleicht nicht mehr vor der Sommerpause, aber eine konstruktive Einigung wäre möglich. Theoretisch. Praktisch vermag ich gerade nicht einzuschätzen, wie weit es die destruktiven Kräfte in der FDP treiben wollen und ob sie dieses Gesetz tatsächlich ähnlich zerplatzen lassen wollen, wie die Impfpflicht. Einige Akteure bringen sich entsprechend in Stellung und die Fraktionsführung scheint nicht fähig oder willens da einzugreifen.
Ausgang ungewiss.
Und abseits aller Inhalte, aber streng parteipolitisch gedacht, darf man natürlich auch nicht vergessen, dass Robert Habeck noch immer Ambitionen hat, der nächste Kanzlerkandidat der Grünen zu werden und seine Gegner:innen ihn deshalb gerne beschädigen möchten. Auch das ist ein Baustein in diesem vielschichten Themenkomplex. So funktioniert Politik. Ist schon oft auch ganz schön unschön.
Ich hoffe, Sie haben ein paar Punkte mitgenommen, die Ihnen helfen, die aktuellen Debatten noch besser zu verstehen. Wenn ja - empfehlen Sie diesen Newsletter gerne weiter. Wenn nein - weisen Sie Leute gerne daraufhin, wie grottenschlecht er ist und dass sie sich das unbedingt mal angucken sollten :D
Bis zum nächsten Mal!
Frau Büüsker
*Hier hat der Text eine nachträgliche Korrektur erfahren, weil H2 natürlich ein Molekül ist, lediglich als H wäre es ein Atom. Danke für den Hinweis, Antje 🤓
Das ist (mal wieder) eine SEHR kluge Zusammenfassung. Danke dafür!!
Sehr, sehr gut. Danke! (Gerade auch nach Hören des Podcasts, der etwas in Richtung persönlicher Ängste abgedriftet war, die mir wenig entscheidungsrelevant für die Politik erscheinen, sondern allenfalls fürs Framing taugen.)