Das Imperium schlägt zurück
Ausgabe 26 - Wie die CO2-Lobby gerade das fossile Zeitalter zu verlängern versucht
Moin.
Die LNG-Branche möchte wachsen. Die weltweite Nachfrage nach Flüssigerdgas soll sich bis 2040 verdoppeln, mindestens. So zu hören letzte Woche beim World-LNG-Summit in Berlin. Flüssigerdgas für alle – damit sei sogar dem Klimaschutz geholfen! Denn LNG, das sei ja richtig hilfreich bei der Dekarbonisierung – so das Verkaufsversprechen. Und Energiesicherheit schaffe man auch! Besser direkt noch ein paar Milliarden in LNG-Importinfrastruktur investieren und Verträge auf 20 Jahre schließen, bevor uns die Asiaten alles wegkaufen!
Mit Versprechen wie diesen soll gerade eine fossile Technologie langfristig im Markt etabliert werden. Ein Beispiel dafür, wie das fossile Imperium gerade zurückschlägt.
In dieser Ausgabe nehme ich Sie mit ins Berliner Edelhotel Adlon, an die Ölförderquellen in Saudi-Arabien und in die aserbaidschanische Hauptstadt Baku.
Anschnallen bitte, gemütlich wird’s nicht.
Schön, dass Sie trotzdem dabei sind.
Um direkt ein paar Illusionen zu zerstören: Nein, Flüssigerdgas ist keine Lösung im Kampf gegen den Klimawandel. Ja, Erdgas setzt beim reinen Verbrennungsvorgang weniger CO2 frei als Kohle. So gesehen ist es ein bisschen weniger schlimm.
Schaut man sich beim Flüssigerdgas aber die gesamte Produktionskette an, verpufft diese Idee. Flüssigerdgas ist enorm energieintensiv. Es wird in großen Tankern über die Meere transportiert – ist damit grundsätzlich viel flexibler als pipelinegebundene Lieferungen. Aber um Erdgas so verschiffen zu können, muss sein Aggregatzustand mehrfach verändert werden. Erst wird es verflüssigt – dann wieder regasifiziert. Das erfordert den Einsatz zusätzlicher Energie. Auch die Schiffe müssen angetrieben werden. Und dann ist da noch das Problem der Methan-Leckagen.
In diesem Jahr veröffentlichte der Autor Robert Howarth eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass LNG aus den USA dadurch sogar klimaschädlicher ist, als Kohle.
Eine Zusammenfassung: [Link]
Die Studie im Original: [Link]
Niemand dürfte überrascht sein, dass die amerikanische Fossilindustrie seit Veröffentlichung der Studie versucht, die Glaubwürdigkeit des Autors in Zweifel zu ziehen.
(Protest beim LNG-Summit in Berlin)
Wir halten also fest: LNG ist für das Klima keine Lösung.
Es war aber 2022 die Lösung, als Russland im Zuge des Angriffskriegs gegen die Ukraine die Erdgaslieferungen nach Deutschland drosselte und als sie später durch die Sprengung der Nordstream-Pipelines unmöglich wurden.
Für die deutsche Politik & Wirtschaft war das ein disruptiver Moment. Binnen kürzester Zeit brach das billige russische Erdgas weg, das große Teile der Energieversorgung und der Industrie so dringend brauchten. Gasheizungen, Gaskraftwerke, Industrieanlagen. Der deutsche Wohlstand der letzten Jahre, er war auch möglich, weil das Gas so billig war. Und jetzt? Puff. Weg.
Die Bundesregierung traf damals die Entscheidung, auf neue Importwege zu setzen. Insbesondere die Grünen gingen dafür einen weiten Weg – sie hatten sich immer gegen LNG-Importterminals gestellt, jetzt war es ein grüner Wirtschafts- und Klimaminister, der sie möglich machte. Mit viel Steuergeld wurden Regasifizierungsschiffe gechartert, Anladeinfrastruktur gebaut, Pipelines verlegt. 9 Milliarden Euro waren ursprünglich mal die Charterverträge veranschlagt. Über die KfW beteiligt sich der Bund außerdem am Bau eines festen LNG-Terminals in Brunsbüttel. Das jetzt noch einmal deutlich teurer wird. [Link]
Audio-Reportage zum LNG-Summt im DLF: [Link]
Die Terminals haben ihren Beitrag dazu geleistet, die Gasversorgung stabil zu halten. Die Strom- und Wärmeversorgung funktionierte weiter, auch, weil viel eingespart wurde. Binnen kürzester Zeit wurde damals fossile Infrastruktur hochgezogen, Umweltverträglichkeitsprüfungen ausgesetzt, mit “Deutschlandtempo” der Bau beschleunigt. Neue Gasverträge wurden geschlossen - wissend, dass das klimapolitisch eigentlich nicht geht.
Aber das Versprechen für die Zukunft:
Die gecharterten Schiffe stößt man irgendwann wieder ab, die festen Terminals werden umrüstbar auf andere Stoffe, zum Beispiel Ammoniak, ein potentielles Wasserstoff-Derivat (gebunden in NH3 wird der sonst sehr flüchtige Wasserstoff so leichter transportierbar). So wurde es gesetzlich als Voraussetzung für die Terminals definiert. Achso - und der Betrieb ist nur bis zum Ziel der deutschen Klimaneutralität erlaubt.
Das aber ist nicht in Stein gemeißelt, wie man derzeit an politischen Forderungen erkennen kann. Die FDP etwa möchte das Datum für die Klimaneutralität bereits jetzt nach hinten verschieben, andere populäre Parteien leugnen die Notwendigkeit völlig.
Auch das mit der Umrüstung ist auf dem Papier eine tolle Idee, de facto kann heute aber noch niemand abschätzen, wie teuer das wird, welche technischen Voraussetzungen genau gebraucht werden. Viele Unbekannte.
Die Terminals sind also erst einmal rein fossile Infrastruktur.
Ja, gleichzeitig wurden auch die Erneuerbaren Energien weiter ausgebaut.
Aber der disruptive Moment, den das Ende der russischen Pipelinegaslieferungen mit sich brachte, wurde nicht zum Startpunkt für ein systematisches Abkoppeln vom Gas – sondern zu einem Startpunkt für einen kleinen LNG-Boom in Deutschland. Beim Branchentreffen in Berlin gab es dafür den World-LNG-Award für herausragende Leistungen an die staatliche Terminal-Betreibergesellschaft. Applaus!
Gerne würde die Branche weitere Verträge mit Deutschland schließen. Nicht auszuschließen, dass ebensolche Geschäfte am Rande des Gasgipfels im Adlon eingefädelt worden. Mit RWE, Regas, Uniper und Sefe waren entscheidende Player anwesend.
Tatsächlich aber hat die Branche derzeit Probleme. So wird das Terminal in Wilhelmshaven die ersten Monate des nächsten Jahres kein Gas abfertigen. [Link]
Die frisch mit dem LNG-Award ausgezeichnete Betreibergesellschaft erklärte verschiedenen Medien auf Anfrage, dass das Gas auf dem Weltmarkt derzeit anderswo verkauft werde. Was heißt: Anderswo lassen sich gerade höhere Preise erzielen - wahrscheinlich, weil die Nachfrage hierzulande gering ist. Eine höhere Nachfrage würde die Preise steigen lassen. Für den Notfall sei das Terminal aber einsatzbereit, so die Betreibergesellschaft.
Vorsorgen für den Notfall - das ist auch ein Argument, mit dem etwa der Branchenverband Zukunft Gas argumentiert. Die bisherige Importinfrastruktur reiche nicht aus, es brauche weitere Terminals.
Dass der Staat Steuergeld in fossile Projekte fließen lässt, weckt Begehrlichkeiten.
Ein Großteil des nach Deutschland importierten Gases kommt aus den USA, wird dort über Fracking gewinnen, das heißt, indem Chemikalien in den Boden verpresst werden – mit erheblichen Umweltwirkungen. Die Biden-Administration hatte – auch im Lichte der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse – wieder eine größere Zurückhaltung in Bezug auf diese Technologie an den Tag gelegt. [Link]
Donald Trump aber wird in Sachen Fracking all in gehen. Den Job des Energieministers will er an einen ehemaligen Fracking-Unternehmer vergeben. [Link]
Für eine künftige Bundesregierung könnten neue LNG-Verträge damit auch zum außenpolitischen Hebel werden, sich mit der Trump-Administration gut zu stellen – klimapolitische Folgen hin oder her.
Auch andere Akteure haben ein Interesse daran, mehr LNG zu verkaufen. Russland etwa finanziert darüber immer noch seinen Krieg gegen die Ukraine. Die verstaatlichte deutsche Sefe (ehemals Gazprom Germania) importiert noch immer Gas aus Russland – abgewickelt über LNG-Terminals in Frankreich und von dort in das europäische Gasnetz eingespeist.
Und dann sind da die Golfstaaten – zum Beispiel Saudi-Arabien.
Ohne Öl geht dort noch immer nichts.
Werbung der OPEC auf der COP29
Es ist gewissermaßen Basis des dortigen Politikmodells. Über fossile Geschäfte kommt viel Geld ins Land. Wohlstand, der von der Herrscherfamilie von oben in die Gesellschaft hinein verteilt wird. Der Staatskonzern Saudi-Aramco ist der weltgrößte Ölkonzern, noch immer werden neue Ölfelder erschlossen. Gleichzeitig versucht das Land sich zu diversifizieren – also die Wirtschaft breiter aufzustellen. Durch Geschäfte im Sport – siehe Fifa-Sponsoring und die Fußball-WM der Herren 2034. Auch im Bereich Erneuerbare wird das Land tätig – Solarenergie und Wasserstoff. Und auch der LNG-Sektor des Landes soll wachsen – hier sieht Saudi-Arabien erhebliche Entwicklungschancen.
LNG könnte für die Märkte von Schwellenländern besonders interessant werden, also Länder, die ihre Wirtschaft stark ausbauen wollen und dafür entsprechende Energie brauchen. Der deutsche Branchenverband Zukunft Gas sieht auch in China einen potentiellen Markt – wenn das Land etwa von der Kohle loskommen wolle, könne es auf Erdgas setzen, so die Vision. [Link]
Die Pläne eines wachsenden LNG-Geschäfts passen allerdings nicht zu dem, was die Weltgemeinschaft im vergangenen Jahr auf der Weltklimakonferenz in Dubai beschlossen hat. Nach zähen Verhandlungen gelang es dort, im Abschlusstext die Abkehr von Öl und Gas zu beschließen. Zwar noch ohne konkretes Datum, aber nichtsdestotrotz: Dass dieser Beschluss im Ölstaat Vereinigte Arabische Emirate gelang, war gefühlt eine kleine Mondlandung.
Auf der Klimakonferenz im Ölstaat Aserbaidschan zeigte sich dieses Jahr dann aber: Die Beschlüsse von Dubai werden nicht von allen akzeptiert. Vorne mit dabei: Saudi-Arabien. Als Verhandlungsführer für die Arabische Gruppe erklärte der Vertreter des Landes, dass Saudi-Arabien keiner Sprachregelung zustimmen werde, die einen bestimmten Sektor ausschließe, schon gar nicht Öl & Gas. Konkret heißt das: Es war nicht möglich in Baku denselben Satz aufzuschreiben, den alle Vertragsstaaten in Dubai ja schonmal beschlossen hatten.
Pavillon Saudi-Arabiens auf der COP29
Saudi-Arabien hat kein Interesse an einer Abkehr von Öl und Gas, Saudi-Arabien will beides weiter fördern – denn es ist der Treibstoff des eigenen Wohlstandes. Wirtschaftlich ist dies also absolut nachvollziehbar. Und moralisch aus deutscher Perspektive auch schlecht zu kritisieren – denn auch wir haben ja zuletzt Milliarden in entsprechende Infrastruktur investiert. Um unseren Wohlstand zu sichern.
Und könnten in Kürze in einem Schlüsselsektor der deutschen Wirtschaft entsprechend die Klimaschutzregularien verändern beziehungsweise auf europäischer Ebene darauf hinwirken, um eine fossile Technologie zu schützen: Den Verbrennungsmotor. Durch eine Änderung beziehungsweise Verschiebung der Flottengrenzwerte würde der Druck von der Automobilbranche genommen, auf elektrische Fahrzeuge umzusatteln.
Es ist eine Art fossiler Protektionismus, der Deutschland und Saudi-Arabien hier eint.
Und es ist ja auch eine Zwickmühle – denn gehen die fossilen Einnahmequellen verloren, so droht auch Akzeptanz in der Bevölkerung zu schwinden, ebenso wie Geldmittel für die Transformation. Sich vom fossilen System zu lösen, das seit Beginn der Industrialisierung der Taktgeber war, ist eben alles andere als leicht.
Die Abkehr von fossilen Grundstoffen bedeutet auch, dass ihre Infrastruktur früher oder später nicht mehr gebraucht wird, sprich: Fossiler Kapitalstock an Wert verliert. Dies war einer der wenig beachteten, aber doch mit entscheidenden Faktoren beim Heizungsgesetz: Kilometerweise Gasleitungsnetz, welches schlagartig an Wert verliert, wenn Industrie und Strom kein Gas mehr brauchen. Na hoppla. Wenn Technologien ausrangiert werden, gehen für ihre Eigentümer Vermögenswerte über die Wupper. Was heißt das eigentlich für die ganzen Tankstellen, wenn sich die Elektromobilität durchsetzt?
Fossile Investitionen verlieren an Wert – das versuchen jene, die sie getätigt haben, zu vermeiden. Etwa, indem unter der Überschrift “Dekarbonisierung” staatliche Mittel in neue fossile Investitionen fließen - so geschehen mit der staatlichen Förderung für Gasheizungen, die es unter der Großen Koalition gab. Oder eben jetzt KfW-Mittel für feste LNG-Terminals, die vielleicht irgendwann mal umgerüstet werden.
Jeder Euro, der jetzt noch in fossile Infrastruktur fließt, macht den Abschied vom fossilen Zeitalter damit unwahrscheinlicher.
Saudi-Arabien würde jetzt wohl abwinken und sagen, kein Problem, wir lösen das mit Technologie. Kohlenstoffabscheidung und -speicherung: CCS, wie es bald auch in Deutschland möglich werden soll. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate wollen damit ihre Öl- und Gasförderung „sauber“ machen. Einfach den Kohlenstoff abscheiden und speichern oder benutzen – und die Welt bleibt schön.
De facto nutzt Saudi-Arabien abgeschiedenen Kohlenstoff derzeit für sogenanntes Enhanced Oil Recovery, bei dem der Kohlenstoff in Öl- oder Gasvorkommen gepumpt wird, um diese noch besser ausbeuten zu können. CCS in Saudi-Arabien pusht damit die fossile Förderung. [Link]
Das Klima hat davon nüscht.
Zur Rolle Saudi-Arabiens in Sachen Klima (Audio im DLF): [Link]
Um sein ölbasiertes Geschäftsmodell darüber hinaus zu schützen, gehörte Saudi-Arabien auch bei den Verhandlungen für ein Plastikabkommen zur Reduzierung der Produktion zu den Blockierern. Man müsse bloß besser mit dem Müll umgehen, so die Argumentation – sprich: Besser recyceln. Nicht die Produktion sei das Problem. Die erdölbasierte Produktion.
Ein Schelm…
Derzeit baut Saudi-Arabien seinen Chemiesektor – also öl- und gasverarbeitende Industrie – weiter stark aus. Während ADNOC, der Öl- und Gaskonzern der Vereinigten Arabischen Emirate, den deutschen Chemiekonzern Covestro aufkauft. [Link] Inwieweit dieser nun tatsächlich eine Transformation weg von fossilen Grundstoffen macht oder doch eher zum Hebel für die Verlängerung fossiler Produktion wird – schaunwer mal was wird.
Im Plenum der COP29
Kurzum: Das fossile Zeitalter ist längst nicht vorbei. Ein paar Windräder und Solarpanele an deutschen Balkonen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass global betrachtet zahlreiche Akteure an einer fossilen Zukunft arbeiten – obwohl auch sie von den Folgen der Klimakrise getroffen werden.
Nun ist nicht alles schlecht - denn gleichzeitig drängen etwa aus China enorme Massen von cleantech-Produkten in die internationalen Märkte. China könnte – das war eine spürbare Hoffnung auf der Klimakonferenz in Baku – in die Lücke schlüpfen, die die USA hinterlassen werden, wenn die Trump-Administration sich aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzieht. Nicht aus Altruismus, sondern aus geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen. Die haben schlicht Bock ihre Technologie zu verkaufen und wenn die billig und verfügbar ist, könnte das den Klimaschutz pushen. Wirtschaftlicher Erfolg muss nicht mehr fossil sein.
Am Ende geht es bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens auch stark um wirtschaftliche Interessen. Wirtschaft ist Kern von Gesellschaften, von Nationalstaaten, ihr Gedeihen kann über Erfolg und Scheitern von politischen Systemen entscheiden. Während das Funktionieren von Wirtschaftssystemen gerade durch die Folgen der Klimakrise unter immer stärkeren Druck gerät - was Regierungen erkennbar unter Druck setzt. Ein ziemlich großer Clusterfuck.
Um zu verstehen, warum es global in der Klimapolitik an gewissen Stellen hakt, ist es aus meiner Sicht jedoch wichtig, sich die unterschiedlichen Interessenlagen der Akteure vor Augen zu führen. Alle sollten ein Interesse an der Eindämmung der Erderwärmung haben - aber dazu kommen noch viele andere Interessenebenen. Erst wenn man diese kennt und sie anerkennt, lässt sich ein besserer Umgang damit finden. Denn mit Interessenlagen muss man umgehen, wenn man Lösungen finden will.
Was ansonsten auf der Weltklimakonferenz in Baku passierte (DLF-Podcast): [Link]
Danke für Ihr Interesse! Der üüberblick startete vor zwei Jahren als Experiment - und auch wenn das mit der Regelmäßigkeit eher so lala klappt, sind mittlerweile weit über 3000 Menschen an Bord. Wie geil ist das bitte? Fürs lesen, teilen, lachen, kopfschütteln, nachdenken, Nase rümpfen - herzlichen Dank!
Bis zum nächsten Mal.
Frau Büüsker