Breitwasser statt Hochwasser
Wie natürlicher Hochwasserschutz uns davor bewahren könnte, bei Starkregen ständig n nassen Arsch zu bekommen.
Moin!
Während in Brandenburg die ersten Waldbrände gelöscht werden, wurde in Saarbrücken die Stadtautobahn zur Flutrinne umfunktioniert, unfreiwillig, wegen Starkregen. Bundeskanzler Olaf Scholz mal wieder unterwegs im Hochwassergebiet - dieses Mal mit Gummistiefeln. Und ein paar unterstützenden Worten für die Betroffenen. Ideen zur Prävention? Öffentliche Debatte darüber? Fehlanzeige. Is halt Regen, wat willste machen.
Ne Menge, um ehrlich zu sein. Denn Ideen, wie Hochwasserschutz besser funktionieren kann, sogar noch mit guten Nebeneffekten für andere Belange, die gibt’s ja. Stell ich Ihnen in dieser Ausgabe vor.
Schön, dass Sie dabei sind!
Fast wie Windows: Ein Elbe-Seitenarm bei Lenzen
Beginnen wir mit einer kurzen Zeitreise – in den Urschleim menschlicher Zivilisation sozusagen.
Wo Menschen sesshaft wurden, wurde maßgeblich auch durch die Verfügbarkeit einer Ressource bestimmt: Wasser. Quellen und Flüsse waren und sind die Lebensadern menschlicher Zivilisation. Noch heute verbinden wir Metropolen mit ihren Flüssen. Köln und der Rhein, Berlin und die Spree, London und die Themse, Rom und der Tiber, Paris und naja Sie wissen schon.
Und so wie der Fluss zum Leben gehörte, tat es auch das Hochwasser – denken wir nur an den Nil und seinen fruchtbaren Schlamm, der den Ackerbau entlang des Flusses ermöglicht hat - die Basis der Macht ägyptischer Reiche. Und wo man auf den Schlamm lieber verzichten wollte, baute man eben dort, wo das Wasser nicht hinkam. In Rom etwa auf den berühmten sieben Hügeln der Stadt.
Mit wachsender Bevölkerung wuchs auch der Hunger nach Land. In Rom begann man damit, die sumpfige Landschaft zwischen Kapitol, Palatin und Esquilin trockenzulegen – durch ein Kanalsystem, die Cloaca Maxima. Infantile Gesell:innen unter Ihnen dürfen an dieser Stelle leise kichern. In dem trocken gelegten Tal entstand das Forum Romanum - eines der wichtigsten gesellschaftlichen Zentren des Römischen Reiches.
Was hat das jetzt mit Hochwasser zu tun?
Genau solche Entwässerungsmaßnahmen wurden im Laufe der Jahrhunderte nahezu überall in Europa durchgeführt. Überflutungsflächen, auf denen sich die Flüsse ausbreiteten, wurden urbar gemacht. Durch Gräben, Kanäle, Sperrwerke, Deiche. Auf dem so zugänglich gemachten Land wurde gesiedelt oder Landwirtschaft betrieben. Die Flüsse wurden begradigt, damit sie gar nicht erst auf die Idee kamen, sich ihre alten Flutrinnen wieder zu suchen. Große Flüsse wurden so zudem schiffbarer – vorhersehbar, schneller und tiefer.
Schauen wir uns das am Beispiel der Oder mal an.
Sehen Sie, wie absurd grade die Oder sich hier an der deutsch-polnischen Grenze durch die Landschaft zieht? Das ist ein künstlicher Verlauf. Normalerweise würde der Fluss in großen Schleifen über die Ebene kriechen.
Doch die Oder wurde begradigt.
Im 18. Jahrhundert wurde der Fluss verlegt – mit dem Ziel seine Fließgeschwindigkeit durch mehr Gefälle zu erhöhen, ihn dadurch schiffbarer zu machen und gleichzeitig das Oderbruch als Siedlungsgebiet zu gewinnen.
Zuvor mäanderte die Oder durch das große Augebiet– wie es für einen Fluss in Tiefebenen eben natürlich war. Man kann die unzähligen Nebenarme faszinierenderweise noch heute in Bodenstrukturen erkennen– per Satellitenaufnahme.
Das Wasser suchte sich seinen Weg. Breitete sich regelrecht aus, gerade dann, wenn es viel davon ab. Breitwasser statt Hochwasser.
Diese Zeiten sind vorbei.
Die steigende Bevölkerungszahl in Deutschland verlangte Siedlungsraum und Nahrung – und gerade die durch Überflutung nährstoffreichen Augebieten waren da äußerst attraktiv. Die in ihnen wachsenden Hartholzwälder waren zudem ein ganz wunderbarer Baustoff und Energieträger.
Stand 2021 kann nur ein Drittel der natürlichen Flussauen noch überflutet werden. Der Rest ist durch Deiche abgetrennt, teilweise überbaut. So steht es im Auenzustandsbericht des Bundesamtes für Naturschutz. [Link]
Das ist als Problem inzwischen erkannt. In verschiedenen Gesetzen, etwa dem Wasserhaushaltsgesetz ist die Wiederherstellung natürlicher Zustände von Flüssen inzwischen als Ziel ausgegeben. Deutschlandweit gibt es große Renaturierungsprojekte. An der Lippe, der Donau oder auch der Elbe. Diese kann gleich mehrere Vorzeigeprojekte vorweisen, weil sie als Grenzfluss der deutschen Teilung teilweise von Bebauung „verschont“ blieb.
Eines dieser Vorzeigeprojekte ist die Deichrückverlegung bei Lenzen in Brandenburg.
Interaktive Karte der Elbe im Museum des BUND-Auenzentrums auf Burg Lenzen
Hier wurde der Altdeich an mehreren Stellen geschlitzt und mehr als 400 Hektar ehemalige Aue wieder an den Fluss angebunden. Heißt: Wenn das Wasser steigt, kann es in das Areal einströmen, es geht in die Fläche. Breitwasser statt Hochwasser.
Für das 2013er-Elbe-Hochwasser wurde wissenschaftlich modelliert, was diese Maßnahme gebracht hat: 50 cm weniger Scheitel bei Lenzen und 10 cm weniger bei Wittenberge. Ein halber Meter weniger Hochwasser – das macht im Ernstfall eine ganze Menge aus.
Inzwischen ist bei Lenzen ein zweites Projekt verwirklicht worden – auf der anderen Uferseite der Elbe. Die Hohe Garbe wurde durch eine weitere Deichrückverlegung wieder an den Fluss angebunden. Der dortige Auwald kann jetzt auch wieder regelmäßig überschwemmt werden.
Das ist nicht nur gut für den Hochwasserschutz – diese Auen-Renaturierungsprojekte haben quasi Multi-Use-Effekt.
Stichwort Biodiversität – Hier finden Arten Lebensräume, für die es ansonsten nicht mehr viele Ecken gibt. Amphibien gefällt das feuchte Umfeld, Vögel können sich in diese geschützten, von Nutzung ausgenommenen Bereiche zurückziehen, Fische in den Flutrinnen laichen.
Stichwort Wasser – nicht nur kann das Hochwasser hierhin breitwassern, es wird dadurch auch für trockenere Zeiten „gespeichert“, zudem kann der Naturraum das Wasser reinigen und damit zur Qualität beitragen.
Stichwort Klimaschutz – Hartholzauwälder binden eine Menge CO2.
Stichwort mentale Gesundheit – Schöne Naturräume sind gut für das menschliche Seelenleben.
Mehr zum Thema Auenrenaturierung, z.B. den teils problematischen rechtlichen Voraussetzungen habe ich in einem “Hintergrund” für den Deutschlandfunk erzählt:
Zu den Herausforderungen gehört natürlich auch, dass diese Flussauen inzwischen anders genutzt werden. Es geht um Besitzverhältnisse, um Ausgleichsmöglichkeiten, um angepasste Nutzungskonzepte.
Nebenfluss der Elbe
Denn die renaturierte Aue muss nicht zwingend immer reines Wildnisgebiet werden – eine landwirtschaftliche Teilnutzung ist in vielen Fällen durchaus denkbar. Wie so oft gilt: Kreativ und pragmatisch sein führt ans Ziel.
Starkregenereignisse werden durch die Klimakrise zunehmen, das wissen wir schon jetzt. So ergibt es schlicht die Physik. Wärmere Luft kann mehr Wasser aufnehmen – und was hoch kommt, muss irgendwann auch wieder runter. Höhere Deiche allein können dem nicht beikommen. Denn sie sorgen allenfalls dafür, dass das viele Wasser schnell abgeleitet wird – das Hochwasser wird so allerhöchstens verlagert – und fließt dann weiter unten am Fluss in die Keller.
Die Wassermassen, mit denen wir es schon jetzt und auch künftig zu tun haben werden, müssen irgendwo hin. Und wenn es nicht unsere Keller und Erdgeschosse sein sollen, müssen wir andernorts entsprechenden Platz schaffen. Auf den ersten Blick mag dies kulturgeschichtlich widersprüchlich wirken, haben wir doch über Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende der Natur Raum abgerungen, um ihn zu nutzen. Unsere heutigen Flusslandschaften sind so zu Kulturlandschaften geworden – mit aufmerksamem Blick kann man hier die Spuren unserer Geschichte erkennen. Aber das heißt eben auch, dass wir Naturräume seit jeher unseren Bedürfnissen angepasst habe. Sie zu renaturieren könnte gleich mehrere gegenwärtige Bedürfnisse erfüllen. Wir müssten uns gesellschaftlich allerdings klar darauf verständigen, dass ein solcher natürlicher Hochwasserschutz mit all seinen geschilderten Multi-Use-Effekten im öffentlichen Interesse liegt – und entsprechend die politischen Rahmenbedingungen schaffen.
Bisher fehlt darüber eine öffentliche Debatte. Und nach Hochwasserereignissen wie dem diesjährigen Winterhochwasser oder der jetzigen Saarlandflut – hoppla, schon zwei große Hochwasserereignisse kurz nacheinander - wird lieber über eine Pflicht zur Elementarschadenversicherung diskutiert, also darüber, wie wir die Kosten auf die Allgemeinheit umlegen, als darüber, wie wir solche Ereignisse in ihrer Wucht abschwächen, die Kosten also mindern. Auch, weil Auenrenaturierung für viele verdächtig nach Ökokram klingt – politisch daher für viele Akteure wenig attraktiv ist.
Dauert vielleicht noch ein bis drölf Hochwasser, bis in die Köpfe einsickert, dass das kein Ökokram ist, sondern Wohlstandssicherung.
Lust, die Debatte voranzutreiben? Dann teilen Sie diese Ausgabe gerne.
Danke für Ihr Interesse!
Frau Büüsker