Moin!
Für diese Ausgabe des Newsletters hätte ich wieder eine existenzbedrohende Krise im Angebot, inklusive einer internationalen Konferenz, bei der die Weltgemeinschaft um gemeinsame Lösungsansätze ringt.
Nee, Moooment, bevor Sie jetzt fluchtartig das Browserfenster verlassen, es wird auch um Dinosaurier gehen! Und um Fingertiere mit überlangen Ringfingern. Ja, Mittelfinger wäre lustiger, aber ganz so närrisch ist die Natur dann doch nicht. Es geht um Biodiversität, Gerechtigkeit und Taschenlampen. Wenn Sie möchten, fügen Sie hier jetzt irgendein Wortspiel mit “Licht aufgehen” ein, aber, naja, vielleicht auch lieber nicht :D
Schön, dass Sie dabei sind!
In Montreal verhandelt die internationale Staatengemeinschaft über ein neues Naturschutzabkommen. Eines der zentralen Ziele: bis 2030 30 Prozent an Land und im Meer unter Schutz zu stellen. Um Ökosysteme zu bewahren, biologische Vielfalt zu erhalten und damit unsere Lebensgrundlagen zu schützen.
Die Menschheit behandle die Natur wie eine Toilette, so hat es UN-Generalsekretär Antonio Guterres bei der Eröffnung gesagt und ebenso wie andere Akteure mit drastischen Worten für den Erhalt der biologischen Vielfalt geworben.
Ja, wichtig, dass politische Akteure sich da klar positionieren.
Nur: Noch wichtiger wäre glaube ich, zu erklären, warum das ein Problem ist, das alle beschäftigen müsste.
Wir befinden uns mitten in einem riesigen Artensterben, für das wir als Menschen verantwortlich sind.
Vor allem durch Landnutzungseffekte, zunehmend aber auch durch die von uns ausgelöste Klimakrise. Es wäre wichtig, dass Menschen die Auswirkungen auf ihr eigenes Leben besser verstehen und entsprechend die Handlungsnotwendigkeiten erkennen. Das ist aus meiner Sicht auch für die Klimakrise eine der wichtigsten Aufgaben – Handlungsnotwendigkeiten, aber auch Handlungsoptionen aufzeigen, nicht nur Angst machen vor den Folgen.
Warum also ist der Verlust von Ökosystemen und Arten ein Problem?
Kurz gesagt: Weil alles in der Natur sich irgendwie aufeinander bezieht. Wo Leben möglich ist, ist Leben entstanden und sei es noch die unwirklichste Modderpfütze, irgendwas lebt darin, vielfach in starken Abhängigkeiten. Das geht selten so weit wie beim Clownfisch und der Seeanemone, die in einer echten Symbiose miteinander leben, sprich ohne den anderen wird’s eng. Und dennoch sind Ökosysteme ein bisschen wie große Zahnradsysteme, wo alles ineinander greift und wenn da plötzlich ein Zahnrad fehlt, dann dreht sich nix mehr, um es mal so richtig doll zu vereinfachen. Viele Pflanzen sind für Bestäubung auf Insekten angewiesen, Pflanzenfresser sind auf bestimmte Pflanzen angewiesen, Fleischfresser auf Pflanzenfresser und wenn jetzt das Insekt leider nicht mehr existiert, dann ist das in der Kette der Zusammenhänge ziemlich ungünstig für alle.
Was auch ungünstig ist: Wir kennen die Zusammenhänge der Natur viel zu wenig und können deshalb gar nicht so gut einschätzen, was alles zusammenbricht, wenn komplette Ökosysteme wie Wälder und Moore hops gehen. Und mit „wir“ meine ich jetzt nicht bloß Sie und mich, als interessierte Laien, sondern die Wissenschaft. Ja, wir schicken Shuttles in den Weltraum und kennen den Mond fast besser als etwa die Tiefsee. Wir wollen alles immer mit Innovation lösen, verstehen aber die komplexen Zusammenhänge von Ökosystemen nur bedingt.
Höchste Zeit sich insgesamt besser damit auseinanderzusetzen – schreibe ich mir auch selbst ins journalistische Notizbuch.
Nun ist die Biodiversität aufgrund dieser Komplexität nicht sonderlich einfach zu kommunizieren, weshalb einiger Forschende auch in dieser Hinsicht große Hoffnungen in das 30er-Ziel setzen. Also die in Montreal verhandelten dreißig Prozent Schutzgebiete bis 2030. Die Idee: Die 30 Prozent könnten für den Naturschutz so etwas werden, wie das 1,5-Grad-Ziel für den Klimaschutz. Ein bestimmter Bezugspunkt, auf den sich in Debatten alle fokussieren können, mit Hilfe dessen man klarer kommunizieren kann.
Gleichzeitig – und auch hier ist das 1,5 Grad Ziel eine gute Vergleichsgröße – bergen derart plakative Begrifflichkeiten immer die Gefahr, dass alle sagen können, dass sie natürlich an diesem Ziel festhalten, super wichtig, jaja, 1,5 Grad, wollen wir, werden wir machen, selbstverständlich, Überleben der Menschheit, jaja.
Und passieren tut halt nüscht.
Ein weiteres Problem:
Die reine Fokussierung auf eine Zahl lässt qualitative Kriterien an den Rand rücken, was insbesondere bei Schutzgebieten natürlich eine entscheidende Frage ist. Es müssen Gebiete unter Schutz gestellt werden, in denen wertvolle Ökosysteme mit hoher Biodiversität liegen, es braucht klare Kriterien für die Umsetzung des Schutzstatus und im Idealfall auch Kontrollen. Bloß Schilder aufzustellen reicht halt nicht.
Interessant in diesem Zusammenhang fand ich ein Briefing des Science Media Centers, bei Interesse hier entlang:
Wichtig in diesem Zusammenhang auch: Schutzgebiet heißt nicht, dass es um unberührte Wildnis geht. In Deutschland etwa findet Landnutzung auch in Naturschutzgebieten statt – und angesichts der Flächenkonkurrenzen, die in der Zukunft noch zunehmen werden, wird es auch kaum anders gehen. Es stellt sich aber immer die Frage: Wie sieht die Landnutzung aus? Kann sie auch so gelingen, dass die Natur weiterhin ihren Platz hat, Ökosysteme funktionieren, Arten erhalten werden?
Zu dieser Frage möchte ich vertiefend das folgende Feature empfehlen, welches sich mit Fragen von Biodiversitätsschutz und Gerechtigkeit auseinandersetzt und dabei auch einige Felder aufmacht, die vielleicht erstmal nicht so naheliegend sein mögen:
Biodiversität und Gerechtigkeit, Wissenschaft im Brennpunkt, Deutschlandfunk
Für den Fall, dass Sie jetzt denken, uff, das ist aber n ganz schön großes Thema – jo. Und ehrlich gesagt rätsle ich auch immer noch ein wenig, wie sich da journalistisch gut ein Henkel drankriegen lässt. Weil natürlich kann man immer wunderbar anhand von einzelnen Arten skurrile Geschichten aus dem Tierreich erzählen. Hier eine lustige Art aus dem Regenwald, die aussieht wie eine Kreuzung aus einer Schreibtischlampe und einer Natter und hören Sie mal, was für lustige Geräusche die macht.
Aber skurriles Aussehen/Verhalten einzelner Arten ist halt nichts, was die Bedeutung biologischer Vielfalt für den Fortbestand unserer Zivilisation vermittelt.
Sie sehen mich hier nachdenkend und suchend. Achso und bitte googeln Sie jetzt nicht die Kreuzung zwischen Schreibtischlampe und Natter, das hab ich mir natürlich ausgedacht.
Eine gute Nachricht gibt es übrigens: Es gibt eine Vielzahl von Problemlösungsansätzen, die sowohl dem Natur- und Artenschutz als auch dem Klimaschutz dienen. Mehr über naturbasierte Lösungen (Audio).
Falls Sie allerdings Lust haben, sich dem Thema ein bisschen zu nähern, würde ich Ihnen gerne einen Besuch im nächstgelegenen Naturkundemuseum vorschlagen. Zahlreiche Museen haben das Stichwort Biodiversität inzwischen auf ihrer Agenda stehen, was nicht nur daran liegt, dass sie in ihren Sammlungen viele ausgestopfte Tiere beherbergen, die es in lebender Form so auch nicht mehr gibt. Anhand der Sammlungen von Museen wird nämlich auch eine ganze Menge geforscht und damit die von mir angesprochene gigantische Wissenslücke Stück für Stück um Winzigkeiten verkleinert. Idealerweise.
Dieser faszinierende Kollege hier ein ausgewachsener T-Rex.
Äh.
War ein ausgewachsener T-Rex.
Inzwischen sind seine Knochen versteinert und gehören Privatleuten. Tristan Otto, wie die Knochen von ihren Besitzern genannt werden, ist derzeit wieder im Naturkundemuseum Berlin zu sehen. Da es sich bei “ihm” um Privatbesitz handelt, kann an seinen Knochen nicht geforscht werden. Denn Ergebnisse, die wissenschaftlich publiziert werden, müssen überprüfbar sein – was nur funktioniert, wenn sichergestellt ist, dass der Untersuchungsgegenstand jederzeit anderen Forschenden zur Verfügung steht, was bei Objekten im Privatbesitz nicht möglich ist. Die Süddeutsche Zeitung berichtete kürzlich, dass es für Museen weltweit zunehmend schwierig wird, Fossilien zu erwerben, weil es unter Superreichen inzwischen schick ist, sich einen T-Rex zu Dekozwecken zu halten. Entsprechend steigen die Preise und fokussieren sich ganze Ausgrabungen darauf, Fossilien verkaufsgerecht zu bergen, aber nicht unbedingt wissenschaftlich zu dokumentieren.
Wir privatisieren also die Grundlage für Wissen über unsere Vergangenheit – aus Prestigegründen.
Leseempfehlung: Ein T-Rex fürs Wohnzimmer, 7.12.22 (Paywall)
Zurück zur Biodiversität.
Gut aufgestellte Museen wissen nicht nur, wie sie ihr Wissen mehren, sondern auch, wie sie ihr Wissen gut vermitteln können. Das Naturkundemuseum Berlin beispielsweise lädt in der dunklen Jahreszeit zu sogenannten Taschenlampenführungen ein. „Nachts im Museum“-mäßig zwischen Dinosaurierfossilien herumzuwuseln – hat was. Uneingeschränkte Empfehlung meinerseits. Hier kann man etwa das Aye-aye kennenlernen (also, chrm, seine Überreste), ein Fingertier, welches auf Madagaskar lebt und hochspezialisiert ist. Mit seinem langen Ringfinger klopft es Holz ab, um mit seinem extrem gut entwickelten Gehör Hohlräume zu finden, in denen Maden sitzen, die dann mit dem langen Finger herausgeprökelt und verspeist werden. Hochspezialisiert und ja – stark gefährdet.
Taschenlampenführungen im Berliner Naturkundemuseum sind im Dezember bereits ausgebucht, aber im Januar gibt es noch Plätze. Und andere Museen deutschlandweit bieten Ähnliches an, ich kann es nur empfehlen, für alle, die jetzt in der dunklen Jahreszeit einen Anpackpunkt haben möchten, um sich dem Thema Biodiversität zu nähern.
Aber passen Sie auf, dass sie nicht auf den Museumsgängen verloren gehen, ja?
Dann lesen wir uns beim nächsten Mal wieder.
Viel Spaß
und beste Grüße
Frau Büüsker