Aufmerksamkeit in beknackten Zeiten
Ausgabe 08 - Reicht auch mal mit schlechten Nachrichten, hm?
Moin!
Dieser Newsletter kommt nicht so pünktlich, wie er kommen sollte, wenn es nach Fachleuten geht, die sich mit Community-Management auskennen. Denn die empfehlen Verlässlichkeit, am besten einen festen Veröffentlichungstag, das Püüblikum soll sich ja bestenfalls drauf freuen.
Und ich hatte auch alles – die Geschichte, die schöne Anekdote zum Einstieg, den halbwegs neuen Aufhänger, die Hintergründe, den Aufreger.
Tja, und dann dachte ich, scheiße, Büüsker, das ist schon wieder eine Geschichte von menschlicher Umweltverschmutzung im gewaltigen Maßstab und ja, auch wenn es ein wunderbares Beispiel fürs Anthropozän ist, willst du den Leuten denn schon wieder die Laune verderben?
Ja, hm, neee.
Über die Schwierigkeit Aufmerksamkeit für Missstände zu erzeugen, noch dazu wenn gefühlt alles gerade irgendwie kacke ist.
Herzlich Willkommen zu Ausgabe Nummer 8.
Eigentlich war der Plan, Ihnen in dieser Newsletterausgabe zu erzählen, warum die Teflonpfanne bald Geschichte sein könnte. Verboten – innerhalb der EU. Weil chemische Verbindungen dieser Art sich immer mehr in unserer Umwelt anreichern und das für uns alle nicht ganz so gut ist. Weshalb jetzt mehrere Länder gemeinsam einen Verbotsvorschlag auf den Weg gebracht haben.
Falls Sie jetzt die Tendenz zur Schnappatmung und das Bedürfnis verspüren, Teflonpfannenhamsterkäufe vorzunehmen – stop! Scrollen Sie gerne n bisschen runter, vorbei an dem reflektierenden Journalistinnendriss, der jetzt folgt, dann gibt es die ganze Geschichte und auch die Erklärung, warum Hamsterkäufe jetzt wirklich nicht nötig sind. Ich habe Ihnen den Abschnitt mit einer Pfanne markiert, Sie können ihn gar nicht verfehlen.
Kommen wir zunächst aber zu etwas völlig anderem.
Wie erhält man in Krisenkaskaden die Bereitschaft, sich mit weiterem Shit auseinanderzusetzen?
Gefühlt ist das Glas voll – und zwar das, in welches die Welt schlechte Nachrichten gekippt hat. Danke, bitte nicht mehr nachfüllen. In diesen Tagen blicken wir auf ein Jahr des Krieges in der Ukraine zurück. Unzählige Tote, gewaltige Zerstörungen, grauenvolle Kriegsverbrechen. Niemand vermag sich derzeit realistisch vorzustellen, wie dieser Krieg beendet werden kann, eine größere Eskalation scheint noch immer möglich.
Der Mittelstreifen der Straße Unten den Linden direkt vor der russischen Botschaft in Berlin ist seit über einem Jahr ein Ort, wo Trauer, Wut und Hoffnung ihren Ausdruck finden. Jedes Mal, wenn ich dort vorbeikomme, ist es schwer, mit all diesen Emotionen umzugehen.
Viel wird in diesem Moment der Geschichte davon abhängen, wie China sich entscheidet. Schlägt es sich auf die russische Seite? Lässt es gar mittelfristig seinem eigenen imperialistischen Streben freien Lauf und greift Taiwan an? Was, wenn China all den Einfluss, den es über die vergangenen Jahrzehnte international aufgebaut hat, zur Faust zusammen ballt. Die Zukunft wird zu einem „Was wenn?“ und viele der Optionen sind wenig wünschenswert. All das zu einem Zeitpunkt, da wir als deutsche Gesellschaft uns gerade nach der Pandemie wieder aufrappeln. Wir haben noch längst nicht begriffen, was in den letzten drei Jahren alles kaputt gegangen ist. Vor allem zwischenmenschlich. Wie viele Beziehungen zerbrochen sind, wie die Vereinzelung uns geprägt hat, wie viele Individuen abgerutscht sind in die seelische Dunkelheit, wie viele Menschen von körperlichen Folgen der Pandemie getroffen sind. All das hat Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Und dann jetzt auch noch das Erdbeben in Nordsyrien und der Türkei.
Es ist viel. Zu viel.
Zu diesem Schluss scheinen viele Menschen zu kommen und sich abzuschotten gegenüber dem, was von außen kommt. „News Avoidance“, also das bewusste Vermeiden von Nachrichten.
In einer Welt, in der die Fülle von verfügbaren Informationen Entscheidungen besser machen könnte, wenden Menschen sich bewusst ab, weil die verfügbaren Informationen zu viel werden, zu düster, bringen wir es auf den Punkt: Auch weil sie die Welt zu scheiße erscheinen lassen.
Und ich muss gestehen:
Auch ich neige inzwischen gelegentlich zur Nachrichtenvermeidung.
Nicht nur mache ich auch weiterhin einen möglichst großen Bogen um politische Talkshows, auch bei bestimmten Nachrichtenthemen reduziere ich die Informationsaufnahme auf ein Minimum, schalte gedanklich ab oder blättere bewusst weiter.
Wenn bei Debatten, nehmen wir als Beispiel das Tempolimit, die ewig gleichen Standpunkte zum xten-Mal wiederholt werden. Wenn Zuspitzungen so banal werden, dass sie blöd sind und jegliches Interesse an einem sinnvollen Austausch versiegt, weil alle davon überzeugt sind, dass der Heilige Gral der Wahrheit auf ihrem Tisch steht – ja, dann hab ich schlicht keinen Bock mehr. Ich muss halt, ist mein Job, aber ich kann Medienkonsument:innen gut verstehen, die sich das nicht mehr geben wollen.
Zum einen sind da also die sich verschlechternde Rahmenbedingungen in der Welt – „Polykrise“ würde Adam Tooze jetzt sagen. Oder halt „Mist“ – so würde es Bernd das Brot ausdrücken.
Und dann sind da eingeübte Diskurspraktiken, die vielleicht auch wegen socialmediabedingter Verkürzung zur Reflexhaftigkeit verleiten.
Und dann kommst du als Klima- und Umweltjournalistin mit deinem Bauchladen voller Unappetitlichkeiten an. Hi, na?
Nach der Coronakrise freut sich die Reisebranche wieder über Zuwachs und Leute genießen ihren Urlaub in Übersee – aber Fliegen schadet dem Klima. Intel will eine Chipfabrik bei Magdeburg bauen, ja, aber das versiegelt in großem Stil fruchtbaren Ackerboden, können wir uns diesen Flächenfraß wirklich leisten. Mehr Wohnungsbau ist wichtig, damit Menschen ein bezahlbares Dach über dem Kopf haben, aber puh, haben Sie mal auf die Klimabilanz von Zement geschaut. Ja, Offshore-Windkraft leistet einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Energiesektors, aber lassen Sie uns kurz über das Weltnaturerbe Wattenmeer mit seinen einzigartigen Ökosystemen sprechen.
Als würde man versuchen auf einer Karnevalsparty Termine für Darmspiegelungen unter die Leute zu bringen. Ja, ist wichtig, aber... Timing.
Nun gibt es für all diese Probleme Lösungen, so isses ja nicht. Und im Sinne des konstruktiven Journalismus kann man die erzählen. Aber ein Problem bleibt: Man muss halt erstmal das Problem beschreiben, damit die Schilderung der Lösung Sinn ergibt. Niemandem erschließt sich, warum man to-go-Essensverpackungen z.B. aus Rohrkolbensubstanz entwickelt sollte, das ergibt erst Sinn, wenn man um die Klimawirksamkeit trockengelegter Moorböden und notwendige Alternativnutzungskonzepte weiß und daneben noch verstanden hat, warum weniger Plastikverpackungen eine gute Sache wären.
Aber die Teflonpfannen, Büüsker, was ist jetzt mit den Teflonpfannen?
Ja, kleines Stückchen noch.
Wie man jetzt in Krisenzeiten weiterhin die Aufmerksamkeit für unangnehme Themen aufrecht erhält? Ich wüsste es auch gerne.
Auf Medienseite hätte ich wenigstens Ideen. Weniger Arena-Journalismus, der Meinungs-Gladiator:innen durch die Manege hetzt, könnte ein Hebel sein. Aber wirklich nur einer. Konstruktiver Austausch über Streitfragen, Haltungen verständlich machen, Respekt voreinander und füreinander, nicht nur auf Streitpunkte fokussieren, sondern Gemeinsamkeiten finden, Problemstellen klar benennen, aber auch Lösungen aufzeigen. Haben Sie alles auch schonmal gehört, hm? Machen wir aber irgendwie trotzdem nicht so häufig.
Könnte man mal ändern.
Deshalb war mein Ansatz in dieser Ausgabe, Ihnen nicht einfach nur ein weiteres Problem zu servieren, sondern eben auch darüber nachzudenken, wie wir einen Umgang mit dieser Shitshow da draußen finden. Und damit eine zugegeben ausführliche Rampe für die Sache mit den Chemikalien zu bauen…
Für alle, die sich geduldig zum Pfannen-Content durchgescrollt haben, möchte ich direkt mit der Lösung beginnen:
Eisenpfannen.
Jetzt gucken Sie nicht so, ich überbringe hier auch nur die Botschaft. Und Eisenpfannen wären nun einmal ein okayer Ersatz für beschichtete Pfannen. Sie sehen, meine Beschichtung ist auch nicht mehr ganz frisch, chrm.
Warum aber überhaupt was ändern? Nun, es gibt ein – Sie ahnen es – Problem.
Teflon ist der bekanntere Name von Polytetrafluorethylen, ein chemischer Stoff, der zu den per- und polyfluorierten Alkylverbindungen gezählt wird. Das sind chemische Verbindungen, die in der Natur nicht vorkommen, sondern vom Menschen geschaffen werden und aufgrund ihrer unglaublich praktischen Eigenschaften sehr geschätzt werden. So sind viele von ihnen wasser- und fettabweisend. Sie werden gerne für Beschichtungen genutzt, zum Beispiel eben in Pfannen, aber auch in Regenjacken, die auf diese Weise wasserdicht gemacht werden. Zum Teil sind PFAS auch in Kosmetika enthalten, in Löschschaum und und und. Das Zeug ist einfach wirklich richtig praktisch.
Aber: Die praktischen Stoffeigenschaften führen auch dazu, dass diese Verbindungen sehr stabil sind, sich deshalb in der Natur kaum bis gar nicht abbauen. Sie reichern sich folglich an. Lokal gibt es in Deutschland regelrechte Hotspots. Inzwischen wurden diese menschengemachten Stoffe selbst in den Polarmeeren nachgewiesen. Und im Regenwasser.
Und nicht nur wissen wir nicht so recht, was das für Ökosysteme bedeutet, PFAS stehen auch im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. Insbesondere bei Kindern. Und auch sie werden diesen Stoffen bereits ausgesetzt, denn PFAS befinden sich mittlerweile auch in unserem Trinkwasser, für das deshalb Grenzwerte festgelegt wurden.
Das alles ist nicht sonderlich appetitlich, ich weiß. Ich würde Ihnen trotzdem noch kurz von dem Verbotsverfahren erzählen, das fünf Länder, darunter Deutschland, jetzt auf europäischer Ebene auf den Weg bringen wollen. Anfang des Jahres haben sie ihren Vorschlag dafür bei der Europäischen Chemikalienagentur vorgelegt, zuvor über mehrere Jahre erarbeitet. Der Vorschlag sieht ein Verbot der PFAS vor – aber mit Übergangszeiträumen von bis zu 12 Jahren. Diese sollen für Bereiche gelten, wo es noch keine Alternativen gibt. Die gute Nachricht ist: In vielen Bereichen gibt es bereit Alternativen. Alles in dem seeeeehr umfangreichen Bericht nachzulesen.
Im nächsten Schritt folgt ein langwieriges Beteiligungsverfahren, die EU-Kommission könnte 2025 entscheiden. Wie die Industrie das findet? Na, raten Sie mal. Ob es also überhaupt zu einem Verbot kommt - abwarten. Vorerst besteht also wirklich keine Notwendigkeit, sich mit Teflonpfannen einzudecken, die gibt’s noch eine Weile.
Zum Abschluss nochmal zu den schönen Dingen des Lebens - den Empfehlungen.
Zum Hören: Welt.Macht.China
Wie wichtig China für die Entwicklung der Weltlage ist und sein wird, klang ja hier im Newsletter bereits an. All diese Fragen greift das Team des vom RBB für die ARD produzierten Podcasts auf. Und zwar mit der Expertise der ehemaligen und der aktuellen Korrespondent:innen aus China. Hier kommt eine Menge Kompetenz und Netzwerk zu Wort - und liefert Einsichten, die man so in der deutsche Presselandschaft selten bekommt. Empfehlung daher in Schriftgröße 72, fett, kursiv und unterstrichen.
Zum Hören: Deep Science
In der zweiten Staffel des DLF-Wissenschaftspodcasts geht es um menschliche Wahrnehmung und das ist oft gleichermaßen überraschend wie ernüchternd. Insbesondere die Folge über Erinnerungen, aiaiai.
Viel Vergnügen, wenn Sie etwas davon ausprobieren mögen.
Und wenn Sie Lust haben, empfehlen Sie gerne auch diesen Newsletter weiter.
Bis bald!
Frau Büüsker